Bühne

Lindenhof – Zurück aufs Land

Der Melchinger Lindenhof gibt das bäuerliche Volksstück „Der verkaufte Großvater“

MELCHINGEN. Das ist Bauerntheater, Stadl-Theater, schwäbisches Volkstheater, ein Schwank: Das Theater Lindenhof hat sich in der Fassung von Franz Xaver Ott und unter der Regie von Siegfried Bühr dieses anscheinend unverwüstlichen Stoffes angenommen, dem sich schon Ohnsorg, Millowitsch, Steiner, aber auch ein Franz Xaver Kroetz gewidmet haben. „Der verkaufte Großvater“ von Anton Hamik hatte am Freitagabend in der Lindenhof-Scheune Premiere.

„Der verkaufte Großvater“ am Lindenhof – das Ensemble, Foto: Richard Becker

Das Regionaltheater von der Alb hat dafür alles aufgeboten: die Alte Garde und die Jungen Wilden, den alten und reifen Regisseur in seiner 15. Inszenierung fürs Haus. Es geht damit auf eine neue, andere, weniger tiefschürfende Art an seine Wurzeln zurück, zu seinen Quellen im Schwäbischen. Allerdings waren die frühen Stücke aus dem „ländlichen Raum“, die Innenansichten einer bäuerlich-dörflichen Welt und im authentischen Dialekt von Hirrlingen oder der rauen Alb durchweg hochpolitisch und historisch: Der „Polenweiher“, „Semmer Kerle…“ und das Hexenstück „Tag oder Nacht oder jetzt“ hatten nichts Heimat-Tümelndes, sondern schauten tief in gesellschaftliche Abgründe und in unbewältigt rumorende Vergangenheit.

Franz Xaver Ott, Stefan Hallmayer, Berthold Biesinger (v.l.) Foto: Richard Becker

Dazu erschlossen sich die Lindenhöfler die Hochkultur und die Historie für ihre schwäbische Bühnenkunst. Neben den spektakulären Freiluft-Events etwa über Hölderlin, den „Rathgeb, Maler“ oder Peter Härtlings „Winterreise“ nach Schuberts Liederzyklus war der legendäre „Entaklemmer“, Thaddäus Trolls schwäbische Fassung von Molières „Geizigem“, das Paradebeispiel für solche Aneignung einer klassischem Komödie, ein Dauerbrenner in der minimalistisch klaren Inszenierung von Siegfried Bühr. Mit seiner Tür als Hauptrequisit durfte der Regisseur sich nun Jahrzehnte später selbst zitieren.

„Der verkaufte Großvater“ handelt von Habgier, Haus und Hof, von Arm und Reich, Erbschleicherei, von knitzer Bauernschläue des Alters und ein wenig von der Kraft junger Liebe gegen spießiges Besitzdenken. Das hat etwas zeitlos Archaisches. Aber der krude Stoff (mit seinen irrwitzig unplausiblen Volten wie diesen notorisch falschen oder echten Briefen), mitten im Weltkrieg in Wien entstanden, hat nichts Historisches, Gesellschaftskritisches oder Analytisches. Anton Hamik war sogar ein echter Nazi. Doch weil die Handlung wirklich völlig unpolitisch ist, darf sogar in Zeiten politisch korrekter Cancel Culture mal darüber hinweggesehen werden.

Was immer der österreichischen Vorlage ihren dauerhaften Erfolg auf deutsch-sprachigen Bühnen beschert haben mag, ob es ein gewisser Witz war oder der komödiantische Reiz der Verwechslung: Haus-Autor Franz Xaver Ott – der in der Rolle des hinterhältig-habgierigen Bauern und Rosshändlers (bei Hamik gefährlich nah am judenfeindlichen Klischee) Haslinger auch selber mitspielt – hat mit seiner Fassung ein Meisterstück abgeliefert, das nicht nur in seinen Pointen und seinem intelligent-geistreichen Wortwitz glänzt und funkelt, sondern auch die unglaublichen Tiefen und Valeurs des Dialekts auslotet – worin Ott der Messlatte eines Thaddäus Troll in nichts nachsteht. So etwas Authentisches, ob Autor oder Sprecher, kriegt nur ein eingeborener Schwabe hin.

Doch genau da, im Dialekt, liegt auch die Schwäche der Inszenierung. Die Lindenhof-Urgesteine haben da keine Schwierigkeiten. Neben Franz Xaver Ott ist es der grandios kraftvolle Bertold Biesinger in der Rolle des Großvaters, aber auch Intendant Stefan Hallmayer als armer Bauer Kreithofer, erster, dann etwas an Bedeutung nachlassender Gegenspieler des reichen bösen Bauern.

Mit Zenz, der Magd, die vom geilen Großvater belästigt wird und deshalb vom armen zum reichen Bauern wechselt, einer reizvollen Nebenrolle, kommt Anne-Julia Koller sprachlich noch ganz gut zurecht. Bei aller schauspielerischen Versiertheit aber, bis hin zum souveränen Timing, hört man Carola Schwelien als Bauersfrau Nanni doch an, dass sie mit anderer Zunge gebürtig und aufgewachsen ist. Das gilt auch für die Rollen der Jüngeren. Die – vielleicht deshalb – sogar etwas befangen spielenden Luca Zahn und Hannah Im Hof (als lang verhindertes Liebespaar Alois und Ev), auch Rino Hosennen als Knecht Martl hätte man bei der sowieso hanebüchenen Story vielleicht freihändig mit einer nicht- oder nur halbschwäbischen Herkunft ausstatten können.

Die Pointen und ihr Timing sitzen immer besser, das Publikum lacht sich von Szene zu Szene warm, nicht nur bei den unerschöpflichen Boshaftigkeiten und der hintergründigen Klugheit und Weisheit des Dialekts, in denen der Autor aus dem Vollen schöpft. Nicht auf Slapstick setzt diese Comedy, sondern auf den Schalk und Witz der Sprache, des Schwäbischen. Das Absurde und schlecht Konstruierte der Hamik-Handlung tritt immer mehr in den Hintergrund, bis es ganz vergessen scheint und gar nicht mehr stört.

Blumen fürs Ensemble. Foto: mab

Das Publikum auf der fast ausverkauften Scheunen-Tribüne feierte den Schwank dann auch ausdauernd als hinreißende Dialekt-Comedy von feinster Ausgestaltung. Dem Stück gesellschaftlich-politische Bedeutung wie das Problem des Alterns, der Generationen-Konflikte oder der Besitzverhältnisse anzudichten, täte dem Stoff aber doch zuviel der Ehre an. It’s entertainment, stupid.

Auch wenn er wie ein bäuerlich-„boulevardeskes“ Gegenstück zu Bührs „Entaklemmer“-Inszenierung wirkt: Deren etwas tiefergehenden und deshalb dauerhaften Erfolg wird „Der verkaufte Großvater“ wohl nicht wiederholen können.

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