Zwei Künstler stellen im Reutlinger Kunstmuseum I konkret Bernard Aubertin aus
REUTLINGEN. Bernard Aubertin lebte und arbeitete in 27 Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahr 2015 in Reutlingen, weil er bei seinen Förderern Manfred Wandel und Gabriele Kübler ideale Bedingungen für seine konkrete Kunst vorfand. Der 1934 nahe Paris geborene Franzose war 1957 Yves Klein begegnet, der nur noch im später nach ihm benannten monochromen Blau malte – und tat es ihm nach. Seine erste Leitfarbe wurde ein leuchtendes Rot, die Farbe des Feuers, was ihm rasch den Beinamen „le rouge“ eintrug. Später kam aus Ruß und Asche gewonnenes Schwarz hinzu, auch mal Weiß oder Silbergrau – Hauptsache: monochrom. Aubertin nahm 1977 an der Kasseler „documenta 6“ teil und schloss sich der Gruppe (oder Bewegung) ZERO an, die 2014, in Aubertins letztem Lebensjahr, auch mit Werken von ihm noch eine große Retrospektive im New Yorker Guggenheim bekam.
Holger Kube Ventura, der für das Kunstmuseum Reutlingen die Abteilung Konkrete Kunst führt und mit der gleichnamigen Stiftung über den großen Nachlass Aubertins verfügt, hatte kurzerhand zwei andere eng mit Reutlingen und der konkreten Kunst verbundene Künstler gebeten, aus den reichen Beständen die Ausstellung „Bernard Aubertin: Rouge et plus“ zu kuratieren, die am Freitagabend eröffnet wird und bis zum 20. Oktober zu sehen ist: Stef Stagel und Steffen Schlichter, auch als Paar und Künstlerkollektiv „ststs“ bekannt.
Die Ausstellung empfängt mit einem Blick auf die erhaltenen Arbeitstische, die einst zwei Stockwerke tiefer im selben Haus standen, den Wandel-Hallen. In Vitrinen sind auch, aufgeschlagen, ein paar seiner akribisch geführten Arbeitsjournale und Tagebücher zu sehen, sowie ein Wandfoto seines damaligen Ateliers. In den Schaukästen des hintersten Raums finden sich vor dem Foto Aubertins bei einer pyromanischen Autobrand-Aktion Materialien wie Streichhölzer, angekokelte Bücher und andere Materialkunst, aber auch Halbkunstwerke seines politischen Agitprop wie ein Plakat mit aufgeklebter Mao-Bibel.
Aubertins Rot ist nicht ganz so absolut wie das Blau Yves Kleins. In der „Schatzkammer der Ausstellung“ (Stef Stagel) sind Arbeiten unterschiedlicher Formate und Rot-Varianten in chronologischer Abfolge gehängt und gestellt. Das zeigt auch, wie er stets auf der Suche nach mehr Klarheit und Reinheit war, aber auch Bewegung und Struktur in seine Werke bringen wollte. Ruß-schwarze Rechtecke, darunter auch die vollständige Übermalung einer roten Fläche, sind im Ergebnis auch Nachfahren des „Schwarzen Quadrats“ von Kasimir Malewitsch aus dem Jahr 1917. Ein ZERO-Freund und -Kollege, Günther Uecker, wurde mit seinen Nagelbildern berühmt, deren Machart bei Aubertin eine rote Variante findet. Die Journale belegen die ästhetische Auseinandersetzung mit solchen Elementen, auch seine Suche nach Struktur – etwa mit Besteck in die pastose rote Farbe eingedrückt.
Im vorderen Raum hängt eine Serie reinweißer Quadrate. In der Morgenhelle des hinteren rechten Raums leuchten hundert Quadrate „Carrée, Or“ besonders kräftig, die sich Stef Stagel und Steffen Schlichter in einem dreidimensionalen Art gewissermaßen als zusätzliche eigene Kunst zu arrangieren erlaubt haben: an zwei Wänden und dem Boden, mit dem überzähligen hundertsten Quadrat als Anhängsel.
Aubertin war da völlig offen, und so haben Stagl und Schlichter (die ihn noch kennengelernt haben) auch 28 Quadrate aus Silberfarbe schlicht in vier Gruppen an die Wand gelehnt. Das Großformat aus zwei punktgespiegelten roten und schwarzen Winkeln auf weißem Grund aber, im Wendejahr 1989 entstanden und auf die welthistorischen Ereignisse bezogen, wollte Aubertin wohl genau so gesehen wissen.
Die höchst sehenswerte Ausstellung „Bernard Aubertin: Rouge et plus“ wird am morgigen Freitag, 17. Mai 2024, um 19 Uhr im Kunstmuseum Eberhardstraße, 2. OG, von Oberbürgermeister Thomas Keck eröffnet. Reutlingen ist spätestens mit der Wandel-Kübler-Schenkung Konkreter Kunst dabei, im Wettlauf mit Ingolstadt zu einem zentralen Ort dieses kleinen, aber feinen (und sehr reinen) Kunst-Genres zu werden. Barbara Bosch, Stiftungsvorstand und Ex-Oberbürgermeisterin, wird sich dessen bewusst sein. Vielleicht finden die beiden Mittelstädte neben den Metropolen New York, London, Paris, Wien oder Berlin ja ihren weltweit beachteten Platz als eine Art Mekka und Medina der Konkreten Kunst.
Nachtrag, Freitag, 17. Mai. 20.30 Uhr: