Kunst

Kunsthalle – Schätze aus Österreich

In der Tübinger Kunsthalle eröffnet die Ausstellung „Kunstschätze“ mit den Highlights aus dem Bestand der Landessammlung Niederösterreich in Krems

TÜBINGEN. Es ist den guten Kontakten von Kunsthallen-Direktorin Nicole Fritz ins Nachbarland und zur alten Wirkungsstätte zu verdanken: Zum ersten Mal gehen diese Kostbarkeiten aus dem spektakulären Kremser Neubau der Niederösterreichischen Landessammlungen ins Ausland. Vom Barock bis in die Gegenwart reichen die Meisterwerke, die als „Kunstschätze“ jetzt in der Tübinger Kunsthalle gezeigt werden. Am heutigen Freitagabend ist Eröffnung.

Die Kuratoren Gerda Ridler, Nikolaus Kratzer und Nicole Fritz haben die Werke nach Epochen geordnet. Sie verstehen die Schau auch als „transnationalen Brückenschlag“, der einen „Einblick in eine einzigartige Kulturlandschaft“ bietet, wie die Hausherrin es nannte: die Wachau, nah an Wien und am Rande des Waldviertels mit ihren Welterbe-Stätten, der Kremser Altstadt und den Stiften Melk und Göttweig über dem Donau-Ufer. Gerda Riedler war Gründungsdirektorin der Museums Ritter in Waldenbuch und leitet die Sammlungen, die im Jahr 2019 ihre Heimstatt im kubischen drehbaren Neubau der Vorarlberger Marte. Marte Architekten fanden.

Die Kuratoren Gerda Ridler, Nicole Fritz und Nikolaus Kratzer (v.l.n.r., alle mit Dr.-Titel). Foto: Martin Bernklau

Unter den Werken des Spätbarock steht für Nikolaus Kratzer der „Kremser Schmidt“, Martin Johann Schmidt (1718 bis 1801) mit seinen großformatigen Altarbildern zu den Heiligen Florian und Nepomuk an der Spitze. Schmidt hat aber auch Genrebilder wie den „Zahnbrecher“ (siehe den Ausschnitt unten) geschaffen, die wiederum den Brückenschlag bilden zu Werken des Wiener Biedermeier wie die fast caravaggiohaft kontraststarke Bauernszene „Abschied von den Eltern“, 1854 von Ferdinand Georg Waldmüller gemalt.

Martin Johann Schmidts barockes Genrebild „Zahnausbrecher“ (Detail). Fotos: Martin Bernklau

Über der Treppe am Hauptsaal hängt neben dem fast pointillistischen „Kalvarienberg“ von Robert Russ aus dem Jahr 1908 das, was die Kremser „unsere Mona Lisa“ nennen, das 1877 entstandene „Mädchen mit Kaninchen“ Anton Romakos, von schon fast kitschnaher Schönheit, aber eben auch mit einem rätselvoll tiefen Blick und einem unergründlich zarten Lächeln um die Lippen.

Die Arbeiten im Großen Saal (siehe Titelbild) widmen sich der „absoluten Aufbruchszeit“, die kunsthistorisch als „Wiener Secession“ etwas arg verkürzt eingeordnet wird. Es ist die Zeit der Jahrhundertwende zum Zwanzigsten, das Fin de siècle, die Zeit der Kokoschka, Klimt und Schiele, aber auch die Epoche von Schönberg und Webern, von Hofmannsthal, Schnitzler und Sigmund Freud; einer Wende- und Wandelzeit, zu der einem – abgesehen von Alma Mahler-Werfel vielleicht – kaum Frauennamen einfallen, wie Gerda Ridler anmerkte.

In dieser Ausstellung ist das, zum Beispiel mit einem Lieblingswerk von Nicole Fritz, geändert: dem grandiosen „Stillleben mit Früchten und Papagei“, im Jahr 1910 von Broncia Koller-Pinell gemalt in flächig starken Farben, vor allem suggestivem Blau. Daneben ein Sonnenblumen-Stilleben Egon Schieles, dessen Jesus-Kind aus seiner „Madonna“ mit magisch-hypnotischem Schwarzblick von der Galerie herüberschaut. „Die Schwestern Haun im Kahn“ (1911) von Leo Putz sind später Impressionismus von einer an Renoir oder Degas heranreichenden Qualität, mit breitem Pinselstrich. Davor steht ein weiblicher Torso, den der „niederösterreichische Rodin“ Anton Hanak 1906 aus leuchtend weißem, fein geäderten Marmor geschlagen hat, in geschlechts-gespiegelter Anlehnung an den vatikanischen „Torso von Belvedere“.

Eine Abteilung im Halbgeschoss widmet sich der Zeit zwischen zwei Weltkriegen und aufkommendem Nationalsozialismus, „Zwischen Widerstand und Anpassung“, woran sich das Kabinett mit den konstruktivistisch-konkreten Arbeiten vor allem einer Isolde Maria Joham (1932 bis 2022) anschließt, die für eine weitere Aufbruchszeit stehen: die Achtundsechziger und Siebziger der Rebellion und der Flowerpower.

Der multimediale Raum für die Konkrete Kunst. Foto: Martin Bernklau

Die wilden Männer und einsamen Wölfe der Nachkriegszeit sind weiter oben platziert, darunter der Übermaler, Kreuz- und Tod-Fetischist Arnulf Rainer oder der kippenberger-hafte Sammler und Collageur Padhi Frieberger, ein früher Fahrrad-Aktivist, oder der rumänische Schweizer Daniel Spoerri als prägende Figur der Objektkunst gerade in Wien. Der feministische Akzent fehlt aber keineswegs, etwa mit (Foto-) Arbeiten des Künstlerinnen-Kollektivs „Die Damen“ (eine andere, unblutige Art von Aktionskunst als die der Muehl-Nisch-Brus) , die den Betrachter dann direkt in die Gegenwart werfen, oder der 2010 geschaffenen Leucht-Installation „Göttin schuf Eva“, mit der Margot Pilz Michelangelos „Erschaffung des Adam“ aus der Sixtina paraphrasierte.

„Die Göttin schuf Eva“ von Margot Pilz, im Vordergrund Arnulf Rainers „Kreuz“. Foto: Martin Bernklau

Da ist dann, ein halbes Jahrhundert bis zur Gegenwart hin, abstrakter und Neo-Expressionismus zu sehen wie der ungeheuer kraftvolle und raumtiefe „Dance“ (2021) von Franziska Maderthaner, passend zur konkreten Poesie der Gomringer, Jandl und Mayröcker: oder der „Bürohengst“ (2004) der Gruppe Gelitin, gewissermaßen eine satirische Fortschreibung der Putzfrau von Duane Hanson, die vor Jahrzehnten in der Stuttgarter Staatsgalerie Skandal machte.

Nachtrag: Gelitin-Künstler Wolfgang Ganter wollte zur Vernissage am Freitag, 19 Uhr, die Musik elektronischer Art beisteuern. Es ergab sich nicht. Die Ausstellung wird bis zum 15. September zu sehen sein. Der wunderbare Katalog „Kunstschätze“ erweitert den Blick noch beträchtlich, auch ins Literarische.

Die Kunsthalle war fast überfüllt zur Vernissage am Freitagabend, zu der Oberbürgermsister Boris Palmer (in der Bildmitte zwischen Nicole Fritz und Wolfgang Ganter von der Gruppe Gelitin) auch Gäste aus Niederösterreich und einige der ausgestellten Künstler begrüßte. Foto: Martin Bernklau
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