Im Reutlinger Spendhaus eröffnet die Ausstellung „HOLZ – Skulptur, Relief und Arbeiten auf Papier“
REUTLINGEN. In eigener Sache, aus eigenen Stücken: Dass der Holzschnitt für das Museum im Reutlinger Spendhaus nicht nur wegen HAP Grieshaber schlicht das „Alleinstellungsmerkmal“ sei, schickte Sammlungsleiter und Kurator Rainer Lawicki der Presseführung seiner Ausstellung „Holz – Skulptur, Relief und Arbeiten auf Papier“ am heutigen Donnerstag voraus. Das war allerdings nicht eng gefasst. „Sechs Positionen“ von sieben Künstlern zum Holz stellte er ganz aus dem Bestand der Sammlung in den oberen beiden Stockwerken des 1518 errichteten Fachwerkhauses einander gegenüber.
Um HAP Grieshaber (1909 bis 1981) selbst, den Hauskünstler von Weltgeltung, den Grafiker und Holzschneider von der Eninger Achalm, ging es allenfalls indirekt. Das Wichtigste, Älteste, Gegensätzlichste, vielleicht auch Teuerste traf im zweiten Obergeschoss aufeinander: Christian Wulffen, Jahrgang 1954, dessen Arbeiten zum Kernbestand der Sammlung Konkrete Kunst der verstorbenen Sammler und Stifter Manfred Wandel und Gabriele Kübler in den Wandel-Hallen Eberhardstraße gehören, und der 1950 geborene Beuys-Schüler Felix Droese, der seine Kunst vor allem sozial versteht und mit dem Holzstamm der fünfeinhalb Meter hohen (flachgelegten und fragmentierten) „Hölderlinsäule“ von 1994 das größte und versicherungstechnisch wertvollste Werk beisteuerte.

Auf der flachgesägten Ebene der „Hölderlinsäule“ sind die Worte „Duisburger Armutszeugnis. Geld oder Leben“ zu lesen, auf der bedruckten Stofffahne daneben und den Grau-in-Schwarz-Platten dahinter ebenfalls. Die Hölderlin-Worte »…Aus Gedanken die That?…“ gehörten zur Installation für das Lehmbruck-Museum und die Ausstellung „18. duisburger akzente – Macht und Moral“ – zu Zeiten, als die dortige Großindustrie noch ein Machtfaktor und das Elend der Arbeit(er) noch proletarisch in Erinnerung war. Unter dem Schlachtruf „Aldi hat die Kunden, ich habe die Kunde“, brachte Droese im Jahr 2004 vor Discounter-Filialen und anderswo 140 000 eigene Kunstdrucke umsonst unter die Leute. Ein ähnliches Stück, ein Holzschnitt mit der Aufschrift „GELD“ auf einer Wirtschaftsmagazin-Seite, ist in einer Vitrine zu sehen.
Christian Wulffens Kunst hingegen, eine Art multimedialer und multimaterieller Minimal Art, ist immer „konkret“ geblieben, das heißt: rein in ihrer Form ruhend und völlig frei von jeder Bedeutung jenseits des Ästhetischen. Ein schönes Beispiel sind die gleichartig gefertigten Holzelemente, die nichts anderes tun, als durch ihre asymmetrische Anordnung in den drei Dimensionen Raum zu definieren und „Rhythmen zu schaffen“, wie Lawicki das sehr treffend nannte.

Matthias Mansen, 1958 geboren, ist vielleicht der HAP Grieshaber verwandteste der ausgestellten Künstler, ein Holzschneider, der als Maler und als Schüler von Baselitz und Lüpertz in Karlsruhe begonnen hatte und sich dann ganz dem Holzschnitt per se widmete. Er vermachte dem Kunstmuseum Spendhaus nicht weniger als 460 Druckstöcke, die seine Arbeitsweise verdeutlichen, über die er gesagt hat: „Ich schneide keine Linien, ich schneide eher Licht“. Die Serien „Essen II“ (1985) und „Esszimmer“ von 1991 zeigen entweder mehrere Stöcke für ein Druckexemplar oder in zeitlicher Abfolge übereinandergeschraubte Druckplatten-Ebenen.

Zwei Jahre lang arbeiteten der Fotograf Ulrich Görlich und der Bildhauer Olaf Metzel, beide Jahrgang 1952, zusammen. Von 1990 an entstanden Objekte, bei denen Tischlerplatten mit Emulsion beschichtet und dann mit Fotografien belichtet wurden, die Metzel mit Fräse und Kreissäge einerseits zerstörte, andererseits in ein räumliches Relief und eine neue Bedeutungsebene verwandelte. Der „Löffel“ wirkt – ähnlich wie die zusammengefügte Druckplatte Mansens – wie eine frühkubistische Collage von Braque/Picasso oder, beim „Altar“, wie eine durch Leerstellen transformierende Hommage an den spätgotischen Bildschnitzer Tilman Riemenschneider.

Enge Beziehungen zum Spendhaus hat die 1948 geborene Französin Martine Andernach, die über die Materialien Holz und Leder, dann Stahl zum Holzschnitt fand, sich in ihrer Schenkung von 2023 an das Museum aber auch der menschlichen Figur, der reinen, in dieser Form und dem Raum extrem reduzierten Holzbildhauerei zuwandte.

Als HAP-Grieshaber-Stipendiat von Sommer 2005 an lieferte Rolf Wicker, ein damals noch recht junger Künstler aus Oberschwaben, der mit dessen Kunst „überhaupt nichts anfangen“ konnte, als „HAPrechnung“ eine spektakuläre Rauminstallation ab, die in ihrer Kraft und Vergänglichkeit an Christo erinnert: Er füllte ein Geschoss der Wandel-Hallen in seiner ganzen Länge, seiner weißen Reinheit, seinem Licht und dem Gleichmaß seiner Segmente mit einer Landschaft von teils begehbaren Holzplatten.

Nur noch ein Modell ist von dieser wiederum „konkreten“ Installation, diesem großartigen Kunst-Event erhalten, das aber zusammen mit einer Fotografie die überwältigende Wirkung dieser Arbeit und dieses Events durchaus als Erinnerung und Traum wachzurufen vermag.
Mit diesen sechs Holz-Wegen von sieben Künstlern ist Kurator Rainer Lawicki eine ganz großartig konzentrierte Ausstellung im Kernbereich des Spendhaus-Museums und aus seinen Beständen gelungen, was sich an diesem Vormittag zur Freude von Kulturamtsleiterin Anke Bächtiger in einem „bislang noch nie dagewesenen Interesse“ der Fachpresse niederschlug. Die Eröffnung ist am morgigen Freitag, 1. März, um 18 Uhr. Die Ausstellung im Reutlinger Spendhaus läuft bis zum 23. Juni 2024.
