Mit dieser Kritik begrüßen wir Dr. Susanne Eckstein herzlich als Gastautorin für Cul-Tu-Re.de. Da die Einarbeitung in die Autorenliste noch etwas Zeit beansprucht, behelfen wir uns mit Foto und Text als Vorspann.
Susanne Eckstein: Ich bin 1956 am Fuße der Teck geboren und dort aufgewachsen. Nach Abschluss eines Lehramtsstudiums in den Fächern Musik, Deutsch und Philosophie habe ich in Stuttgart eine Klassik-Tonträger-Abteilung geleitet, eine Ausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen, in einer Anwaltskanzlei und zuletzt bei der Neuen Schubert-Ausgabe in Tübingen gearbeitet. Im Jahr 2020 Promotion über das Musikleben im Oberamt Kirchheim/Teck im 19. Jahrhundert. Ich lebe in Reutlingen und führe von dort aus meine langjährige Nebentätigkeit als Konzertkritikerin – erst für den „Teckboten“, dann für die „Reutlinger Nachrichten“ und das „Schwäbische Tagblatt“ – fort.
Mittelerde und Hardanger-Fiedel
Ariane Matiakh dirigierte das „Kaleidoskop“-Konzert der WPR mit „Klängen aus Mittelerde“ und der Geigerin Ragnhild Hemsing in der Reutlinger Stadthalle
Von Gastautorin Susanne Eckstein
REUTLINGEN. „Klänge aus Mittelerde“ stand als Motto über diesem Kaleidoskop-Konzert der Württembergischen Philharmonie am Donnerstagabend in der Reutlinger Stadthalle. Ergänzt wurden die Tonwerke nach Tolkiens Fantasy-Welt durch Klänge aus Norwegen, präsentiert von der Geigerin Ragnhild Hemsing, sowie durch Lesungen von David Liske. Die Leitung hatte Chefdirigentin Ariane Matiakh.
Der große Saal war fast voll, das Publikum bunter und jünger als sonst; zahlreiche Tolkien-Fans waren darunter. Ariane Matiakh und das Orchester begrüßten sie mit einer kurzen Filmmusik-Episode von Howard Shore, die im „Herrn der Ringe“ mit düsteren Akkorden, tiefem Blech und wuchtigen Schlägen die „Gefährten“ vorstellt. Die Fortsetzung dieser Musik eröffnet später, nach der Pause, den zweiten Teil des Abends.
Im Mittelpunkt steht nicht die bekannte Filmmusik, sondern mehrere Neukompositionen nach Tolkien von Martin Romberg, einem neo-romantischen norwegischen Komponisten, der persönlich anwesend ist. Was ihn an Tolkien reizt, sind offenbar nicht skurrile Wesen, wilde Kämpfe und fantastische Abenteuer, sondern deren (nachgestellte) mythische Vorgeschichte, Tolkiens „Silmarillion“.
Drei Teile daraus sind an diesem Abend zu hören: „Quendi“, „Telperion und Laurelin“ sowie „Feanor“, und dies nicht am Stück (was zunächst als Uraufführung angekündigt war), sondern in Einzelteilen, jeweils vorbereitet durch Lesung eines von Romberg selbst angepassten Textabschnitts. Es geht darin um das Erwachen der Elben, die zwei Weltenbäume und die Figur des Feanor.
Schauspieler David Liske, in der Region wohlbekannt, liest erwartungsgemäß sonor und natürlich. Der Text erinnert ans Alte Testament, es ist ein Namedropping altertümlicher Art und Rombergs darauf folgende Musik ähnlich statisch. Dabei ist sie gekonnt gemacht: Weiche Melodien mit Folklore-Flair tragen durch weite Landschaften, angeführt durch sehnsüchtige Holzbläser-Soli. Manches erinnert an spätromantische Märchen-Tondichtungen wie die von Rimski-Korsakow. Reizvolle Klangmischungen und farbige Harmonik, satte Bläserkantilenen und himmlische Glitzerglöckchen (von der Celesta) fesseln das Ohr – das Orchester spielt seine Qualitäten unter Ariane Matiakhs präzise inspirierender Leitung gekonnt aus.
Nach dem ersten Teil („Quendi“) geht‘s zunächst mit der norwegischen Geigerin Ragnhild Hemsing zu Edvard Grieg. Dessen Musik zu Ibsens „Peer Gynt“ gehört zu den Klassik-Hits. Wer kennt nicht die „Morgenstimmung“?
Ragnhild Hemsing greift „Peer Gynt“ von einer ungewöhnlichen Seite auf: Sie hat Teile daraus neu für Hardangerfiedel arrangieren lassen, ein altes norwegisches Volksinstrument mit acht Saiten, das sie neben der „klassischen“ Violine perfekt spielt. Denn ihr ist schon lange klar, dass Edvard Grieg den Klang der Hardangerfiedel im Ohr hatte, und das macht sie nun auch im großen Saal der Stadthalle hörbar. Zwar aufgrund der elektronischen Verstärkung etwas verfärbt, doch ansonsten ausdrucksvoll rau und in archaisch ausgezierten Wendungen erzählt ihre Fiedel von tiefem Schmerz und fernen Zeiten. Launig improvisierend verbindet die Künstlerin die streicherbegleiteten Stücke zu einer neuen Synthese, wobei sie zwischendurch auch zur Violine greift.
Ihr Auftritt wird lebhaft bejubelt, doch mancher findet Grieg unpassend für das Thema „Mittelerde“, andere vermissen die Orks, die kleinen Scheusale. Die erscheinen auch nicht im langen zweiten Teil des Abends, der Rombergs „Telperion und Laurelin“ sowie „Feanor“ samt einleitender Lesung gewidmet ist. Wer Action und ein bombastisches Finale erwartet, wird enttäuscht: Hier sind „nur“ große poetische Bilder in leuchtenden Farben zu erleben, und dies in solch epischer Breite, dass manche Tolkien-Fans ab zehn Uhr ungeduldig werden und sich anderweitig beschäftigen. Zum anerkennenden, doch vergleichsweise kurzen Schlussapplaus tritt der Komponist Martin Romberg selbst auf die Bühne.