Musik

Allein gegen alle – BachChor mit Mendelssohns „Elias“

Ingo Bredenbachs BachChor gibt in der Tübinger Stiftskirche einen großartigen Mendelssohn-„Elias“

TÜBINGEN. Das hatte Kraft und Wucht und Größe, aber auch die himmlische Zartheit und jene Eleganz, die Mendelssohns Musik auszeichnet. Am Totensonntag führte Ingo Bredenbach mit seinem BachChor, der Camerata viva und vier versierten Vokalsolisten in der sehr gut besetzten Tübinger Stiftskirche den „Elias“ auf. Das Oratorium über den biblischen Propheten darf in seiner Gattungsgrenzen erweiternden Vielfalt und kompositorischen Dichte als (ein) Hauptwerk Felix Mendelssohn Bartholdys gelten.

Der „Elias“ ist auch ein Bekenntniswerk des protestantisch getauften Juden, der zuvor sein Schwesterwerk über die Bekehrung des Saulus zum „Paulus“ geschrieben hatte, zum Alten Testament, zur Religion seiner Herkunft. Im Judentum dürfte Elias, der sein nordisraelisches Volk vom Baals-Kult wieder zu seinem einen und wahren Gott Jahwe zurück führen will, neben dem Stifter Mose als populärster Prophet gelten. Auf diese biblischen Hintergründe und die von Mendelssohn gewählte Textzusammenstellung fällt in den Tagen nach dem beispiellosen Massaker an Juden und dem israelischen Gegenangriff auf die Hamas in Gaza ein besonderes Licht.

Schon der Beginn ist etwas Besonderes. Nicht mit einer Ouvertüre, sondern mit einem Bass-Rezitativ des Elias, dessen Bläserbegleitung die Sphäre von Einsamkeit, Verlassenheit, Sprachlosigkeit, dämonischer Bedrohung, von Fluch und düsterer Weissagung beschwört, hebt das Oratorium leise an. Der Dirigent lässt das ganz verhalten und schwerelos musizieren, woraufhin aber die Camerata viva in einem sehr straffen, vibratoarm klaren und kraftvoll anwachsendem Ton, den das Ensemble durchgängig bis zum Ende verfügbar hielt, die Ouvertüre als Fuge folgen ließ.

Mendelssohn, laut Nietzsche ein „Genie der Dankbarkeit“, auch gegen seinen Bezugspunkt Bach, beherrschte das mühelos, was Beethoven so schwer fiel: die alte Form der Fuge, den Kontrapunkt. Mit schönen, intensiven Soli etwa der Holzbläser setzte die Camerata viva noch besondere Lichtpunkte in einer durchgängig hochkonzentrierten und präzisen Performance. Auch die Blechbläser platzten bei ihren exponierten Stellen nie brassig hervor, sondern fügten sich geschmeidig ein.

Der große Chor in seiner für Bredenbach typischen gemischten Aufstellung hatte einen entsprechenden Klang. Er kultivierte vom Flüstern über choralhafte Feierlichkeit bis zu Fugen und der dramatischen „Turbae“-Wucht der Baals-Beschwörungen weniger ein Belcanto als die deklamatorische Umsetzung der szenisch-dramatischen Affekte. Und das in einer sorgsam einstudierten Genauigkeit und einer Konzentration, die bis zum Ende nicht nachließ. Ganz groß: die als Doppelquartett ins Oratorium eingefügte achtstimmige Motette „Denn er hat seinen Engeln befohlen“.

Ein in den Stimmfarben ungemein ausgeglichenes Solisten-Quartett aus der Sopranistin Sibylla Rubens, dem nicht zu dunklen Alt von Saskia Klumpp, dem nicht zu hellen Tenor von Bernhard Schneider und Georg Gädker mit seinem geschmeidig leichten Bariton (der als Elias nicht zu Unrecht den stärksten Applaus bekam) oft direktem Dialog mit dem Chor, vervollständigten die Besetzung. Nicht zu vergessen die Engels-Solisten Nina Lutz , Julia Sindek, Miriam Reh als Terzett sowie Charlotte Beckmann vom Lettner aus als Knabe, denen ihre Einlagen wie das berühmte „Hebe Deine Augen auf“ in berückender Intensität gelangen.

Elias prophezeit seinem von Jahwe abtrünnigen Volk eine Dürre, obsiegt aber – zeitweise allein gegen alle – durch Feuer- und Regenwunder gegen die kanaanitischen Phöniker, ihre Könige und ihren Kult. Dessen Propheten lässt er nach dem Sieg von seinen 7000 Getreuen freilich gnadenlos hinmetzeln, was Mendelssohn sehr zurückhaltend musikalisch illustriert. Zwischendurch auch verfolgt und zum Tode verurteilt, befallen den Propheten immer wieder Zweifel an der Macht seines Gottes, der ihm allerdings nicht donnernd, sondern „in einem sanften Säuseln“, einem Windhauch zu Hilfe eilt.

Vor der triumphalen Schlussfuge lässt Mendelssohn im Unisono des ewigen Gesetzes den Geist der Weisheit, des Rats, der Stärke, der Erkenntnis und der Furcht des Herrn obsiegen und den Platz bereiten für den Anbruch des Lichts und der Herrlichkeit des Herrn.

Viel zu früh brach ein begeisterter und langer Applaus in die feierliche Stille nach dem Verhallen des Schlusstons. Verdient war er freilich vollkommen. Das Publikum feierte eine ungemein geschlossene, genaue, hochkonzentrierte und dabei ausdrucksstarke Aufführung des „Elias“.

Click to comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

To Top