Bühne

Lindenhof – da tanzt der Bär

Der Melchinger Theaterclub experimentiert „Im Grand Hotel zum goldenen Gedanken“ mit Frauensachen

MELCHINGEN. Wer wagt, kann auch verlieren. Es gibt ihn seit sieben Jahren, und zur Walpurgisnacht brachte er sein drittes Stück auf die alte Bühne des Melchinger Lindenhofs. Der Theaterexperimentierclub spielte „Im Grandhotel zum goldenen Gedanken“ – langer Name, langer Titel – an ehrwürdiger erster Stätte, dem ausverkauften Saal über dem Gasthof Linde.

Dass der Theaterexperimentierclub nur (noch) aus Frauen besteht, hat sich so ergeben. Dass es da dann um Frauenthemen und Frauenperspektiven geht, ist nur natürlich. Regisseurin Carola Schwelien, die für Bühne und Kostüme zuständige Ilona Lenk nicht zu vergessen, hatten für die dritte Inszenierung sieben Frauen um sich versammelt und ein freies Stück erarbeitet, das an der Grenzen und an den Ursprüngen des Theaters vagabundiert, dem Slapstick, absurdem Theater und einer Art feministischem Agitprop.

Hutprobe im Grand Hotel. Fotos: Martin Bernklau

Da geht eine Frauengruppe auf Reisen – Weste, Frack und Kragen gibt es auch, aber sie sind sichtlich männliche Kostümrollen – und landet in einem Grand Hotel ganz alten Stils. Schon in der Lobby kommen nostalgische Gefühle und Gedanken auf bei Babs Gerlach, Waltraud Goller Bertram, Vanessa Geillinger, Margit Neidhart Hübner, Claudia Jochen , Gudrun Keim, Tine Abel und Marion in Gedanken (das ein Nickname, versteht sich). Man macht Selfies, schaut sich um und schaut zurück. Ein Telefon mit Schnur und Scheibe, „echter Marmor!“, ein Salon-Klavier, der Schellackplattenspieler und ein Kleiderständer mit lauter richtigen Pelzen samt Köpfen und Pfoten.

Es finden sich da eine Zettelsammlung und eine alte Zeitung, in der vom Londoner Suffragetten-Aufstand ums Frauenwahlrecht anno 1910 und dem Gefängnisprotest der inhaftierten Frauenrechtlerinnen im Jahr 1912 zu lesen steht. Anlass für eine erste, leicht ins Chaplineske ironisierte Choreografie unter dem gesungenen Leitmotiv: „Strong, strong stand we at last!“ aus der Hymne „March of the Women“ von Ethel Smith.

Die Zettel geben auch noch Anderes her, nämlich die Geschichten weiblicher Wissenschaftler und Erfinder, die um ihren Ruhm auch bei Nobelpreisen regelrecht betrogen wurden. Statt Lise Meitner, dem eigentlichen Mastermind, wurde nur Otto Hahn für die Kernspaltung geehrt; Rosalynn Franklins Forschungen zur Doppelhelix der DNA klauten ihr die späteren Nobelpreisträger Watson und Crick einfach. Schon runde hundert Jahre vor Konrad Zuse erfand die britische Mathematikerin Ada Lovelace, Tochter von Lord Byron, die erste Programmiersprache für Computer. Zur „Kaktus“-Melodie der Comedian Harmonists ließen die Lindenhof-Frauen dazu ein sarkastisch gereimtes Kampflied erklingen.

Mit Schwung und etewas Slapstick: der Kellnerinnentanz.

Es gibt in diesem Grand-Hotel-Experiment eine Hutmoden-Schau und ein Degustations-Menü auf Französisch: Eine Doppelte Kraftbrühe stellt sich als Schnaps im Flachmann heraus, nachdem der Servierdeckel angehoben ist, eine Känguruhschwanzsuppe ist so eklig, dass sich die Damen dann doch den Mokka lieber aufs Zimmer servieren lassen. Den Kellner(innen)tanz feiert das Publikum wie alle diese Choreografien mit leichtem Slapstick-Einschlag. Ein erstes Rätsel in dieser Symbol-Collage ist allerdings der am Stau gescheiterte Versuch der Frauen, mit ihren sperrigen Koffern durch die Türen in die Lobby zurückzukommen.

Dann kommt die Stunde des Bären, von dessen Fleisch zunächst auch allerlei Gerichte aufgetischt werden sollen. Der Bär aber, im naturalistischen Vollkostüm, ist quicklebendig und steht im Raum wie ein Elefant, er serviert und spielt sogar Klavier. Das alte Mobiliar wird abgestaubt und zur Zigarre ins Herrenzimmer geladen, den Hindenburg-Salon, wo „sie den Zweiten Weltkrieg vorbereiten“.

Die Schluss-Szene ist umschattet von dämmrigem Zwielicht. Gedichte und Aufzeichnungen aus einen Kriegs-, Nachkriegs-, Not- und Hungerzeit tragen die Frauen vor, Geschichten von Fluchten rund um die Welt. Und dann verlassen alle mit ihren Koffern die düstere Szene – ins Licht, gar ins Offene? Auch dieses Rätsel bleibt ungelöst.

Die munter nachdenkliche Frauentruppe gewann ihr Publikum mühelos mit den Slapstick-Elementen, den Formationen, manch grotesk-absurden Überzeichnungen und sarkastischem Kommentierungen, auch mit den Songs bis hin zu feministischen Kampfparolen. Viele der Bilder, Symbole und Szenen bewirkten allerdings eine gewisse Ratlosigkeit mit ihrer gar zu offenen Deutung. Die Zeichen der Zeit und der alten Zeiten waren nicht wirklich klar zu entziffern. Da hatte das Brainstorming zu einer Hermetik geführt, deren Geschlossenheit Regisseurin Carola Schwelien vielleicht auch gar nicht entschlüsseln wollte.

Jubel im Lindenhof für die Frauen des Theaterexperimentierclubs für die Premiere ihres „Grand Hotel zum goldenen Gedanken“ pünktlich zur Walpurgisnacht. Fotos: Martin Bernklau

Nach dem langen und begeisterten Applaus geschah Seltsames, passend zu Hexensabbat und Walpurgisnacht. Ein Defekt der Bühnennebel-Maschine im Hinterzimmer nebelte alles in ganz dichte Schwaden ein und löste Alarm aus, einen echten. Niemand geriet in Panik. Aber man musste sehr schnell mit der Leitstelle der Burladinger Feuerwehr telefonieren und sie überzeugen, dass keine Gefahr im Verzug war, zumal sich der Rauch im Zuschauerraum recht schnell wieder verzogen hatte.

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