Das Biopic über Amy Winehouse läuft im Tübinger Kino „Blaue Brücke“ und im Reutlinger Cineplex „Planie“
TÜBINGEN/REUTLINGEN. Es ist noch keine 13 Jahre her, dass Amy Winehouse tot in ihrer Londoner Wohnung gefunden wurde, über vier Promille Alkohol im Blut und erst 27 Jahre alt – mit ihren Songs und ihrer Soulstimme längst ein Weltstar und mit dem ebenso unverwechselbaren Retro-Look (nach Lady Di) gewiss einer der meistfotografierten Menschen der Zeit. Für ihr Biopic „Back To Black“ ging Regisseurin Sam Taylor-Johnson ein sehr hohes Risiko, die Rolle der Sängerin mit der jungen, noch ziemlich unbekannten Marisa Abela zu besetzen und sie diese Songs auch noch selber singen zu lassen. Gescheitert ist sie nicht.
Nehmen wir mal an, Drehbuchautor Matt Greenhalgh hat diese Lebensgeschichte gut recherchiert: Amy Winehouse wächst als Tochter eines jazz-verrückten Taxifahrers und einer Apothekerin im Londoner Stadtteil Camden auf, jüdisch-säkulare, sehr liberale Familie. Die Eltern trennen sich zwar, aber nichts spricht für eine schwere Kindheit, im Gegenteil: Obwohl sehr schwierig und sehr eigenwillig, wird sie – von Großmutter Cynthia allen voran – geliebt und gefördert, vor allem als offenkundig hochbegabte Musikerin.
In kleinen Bars und Clubs beginnt sie mit meist eigenen Liedern und Texten eine acht Jahre währende Weltkarriere. Früh fängt sie mit dem Trinken an, schnappt sich ihre Männer und leistet sich gern mal Exzesse samt Abstürzen. Und als Amy Winehouse die Liebe ihres Lebens trifft, den Junkie Blake Fielder-Civil, da scheint das Schicksal unentrinnbar: auf kreative Gipfel und Liebeshöhen ebenso wie in Abgründe, tiefste Trauer und schließlich in einen Tod, mit dem sie Mitglied im makabren Musiker-„Club 27“ wird: Brian Jones, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain, allesamt ähnlich genial und ähnlich kaputt im selben Alter gestorben.
„Black in Black“ könnte eine bewundernde Hommage sein, eine Heldinnengeschichte, ein filmischer Fan-Artikel – ist es aber nicht. Der Film könnte sich als Tragödie voyeuristisch am Verfall eines Superstars laben, das Drama zuspitzen – tut er aber nicht. Er könnte Gründe und Schuldige suchen für Aufstieg, Fall und Tod der Amy Winehouse – auch das tut er nicht. Das Team behält eine bewundernswerte Balance bei, die manchem Dokumentarfilm und zahllosen Journalisten zur Ehre gereichen würde, ohne jede missionarische Message. „Black to Black“ versucht nur zu zeigen und zu beschreiben. Das ist großartig unzeitgemäß.
Großartig sind auch die Schaupieler. Marisa Abela macht mit jeder Minute ihres immer intensiveren Spiels mehr vergessen, dass sie eben nicht Amy Winehouse ist (und natürlich auch nicht ganz so singen kann wie sie). Jack O’Connell spielt diese kaputte coole Socke von Amys Lover und Lebensmenschen Blake mit einer unglaublich lässigen, fantastisch authentischen Präsenz. Eddie Marsan lässt den Vater Mitch Winehouse in keinerlei Richtung kippen. Und Lesley Manville gibt der geliebten Großmutter Cynthia noch als todgeweihter Krebskranker ein Charisma ohne allen Kitsch.
Phänomenal eingefangen ist die Atmosphäre dieses Camden, auch der – aus heutiger Sicht – noch unfassbar freizügige Zeitgeist jener Jahre. Die Kamera von Polly Morgan rast und wirbelt nicht, aber sie kann auch schon mal flott geschnitten wechseln zwischen Detail und Totale. Vor allem gelingt es Regisseurin Sam Taylor-Johnson, all das Tempo und Chaos samt Lärm und Gewalt immer wieder einzubremsen und langen Einstellungen eindrücklich leiser Szenen mit großer Geduld ebenso viel Raum zu lassen wie Nick Cave mit seiner diskreten Musik den Songs der Amy Winehouse den gebührenden Platz lässt, ja den unangefochtenen Vorrang.
Solche Bescheidenheit bei den dramaturgisch spannungs-fördernden Effekten und filmischen Kniffen hat vielleicht zur Folge, das „Black to Black“ kein ganz großer Blockbuster werden mag. Aber es ist in allen Belangen ein ganz ausgezeichneter Film. (FSK-frei ab zwölf Jahren)