Im Tübinger „Museum“ und Reutlingens „Cineplax Planie“ ist Kate Winslets Film über die Kriegsreporterin Lee Miller angelaufen
TÜBINGEN / REUTLINGEN. Ihr berühmtestes Foto ist auch ihr fragwürdigstes. Der Kollege von Life hat es am 30. April 1945 geschossen. Es zeigt die britische Kriegsreporterin Lee Miller in Hitlers Badewanne, in der Privatwohnung des Führers am Münchner Prinzregentenplatz 16, zweiter Stock. Die Titelrolle der „Fotografin“ spielt – und zwar absolut grandios – „Titanic“-Star Kate Winslet, die den Debütfilm von Ellen Kuras auch coproduziert hat.
Den Rahmen der Handlung gibt ein Gespräch, das ein junger Journalist mit der alten Lee Miller führt, deren immer noch schönem Gesicht man die Verwüstungen nicht ansieht, die wie Wasser gekippter Gin, kettengerauchte Zigaretten und Depressionen, aber auch all die schlimmen Bilder in ihrer Seele angerichtet haben – und dazu ihr furchtbares Geheimnis jener Gewalttat aus Kindertagen, das der Film erst ebenso spät enthüllt wie die fiktive Person des Interviewers. Es ist ihr Sohn. Der reale Tony Penrose hat das Werk und das Erbe seiner Mutter geschützt und bewahrt.
Als Model hatte Elizabeth „Lee“ Miller angefangen, bald auch selber für die Vogue fotografiert. In Mougins an der französischen Mittelmeerküste hatte sie als Muse im Umfeld Picassos oder als gelehrige Gespielin von Man Ray ein wildes Bohème-Leben mit sonnigen Strandparties, heißen Nächten, coolen Drinks und viel freiem Sex genossen („Für die Männer, mit denen ich schlafe, interessieren sich nur die Männer, mit denen ich nicht schlafe“). Aber auch die Liebe ihres Lebens hat sie gefunden: den sehr britisch versnobten Roland Penrose (Alexander Skarsgård), einen surrealistischen Maler und Galeristen. Dann ist Krieg. Ganz plötzlich, so scheint ihr, war Hitler über Europa gekommen. In Paris schließen sich einige der Freunde der Résistance an. Manche, vor allem die Juden, verschwinden später spurlos.
Lee Miller selbst kehrt nach London zurück, wo sie die Verwüstungen durch deutsche Bomben („The Blitz“) ebenso ins Bild setzt wie die Verwundeten und Verkrüppelten aus den Lazaretten der Heimatfront. Und in der Herausgeberin Audrey Withers – Andrea Riesborough wird etwas arg tutig und tantenhaft inszeniert und gestylt – eine übervorsichtige, doch lebenslange Förderin findet. Lee Miller will an die Front, was bei den Briten für eine Frau eigentlich garnicht geht, was ihr aber mit Willenskraft, Chuzpe und mit der Hilfe ihres Life-Kollegen, Liebhabers und lebenslangen Freundes David F. Scherman (Andy Samberg), Jude übrigens, endlich doch noch gelingt.
Sie setzt den Stahlhelm auf, zieht den Kampfanzug an, geht im Granatenhagel voll Todesangst in Deckung und folgt hinfort unerschrocken und uneingeschüchtert den fürchterlichen Spuren des Krieges: nach der Normandie-Invasion, dem D-Day, in St. Malo, zunächst bei der Befreiung von Paris, wo sie die Rache-Demütigungen an jungen Kollaborateurinnen ratlos machen. Mutig, ja tapfer rettet sie eine junge Frau im letzten Moment vor dem Vergewaltiger und steckt ihr das eigene Messer zu mit den zornigen Worten: „Das nächste Mal schneidest Du ihn ab!“
In all dieser Düsternis lässt die Regisseurin Ellen Kuras – etwas konventionell, wie vieles in diesem Film – ihren Kameramann Pawel Edelmann in ein fast lichtloses Grau wechseln, das nah am dokumentarisch-historisierenden Schwarzweiß ist. Da hat „Die Fotografin“ übrigens trotz all der spannenden und erschütternden Einzelepisoden – es gibt in diesem Leben noch zahllose wahrhaftig filmreife Stories mehr – erstaunlicherweise Längen. Lee Miller erlebt die Befreiungen der Konzentrationslager von Buchenwald und Dachau, fotografiert die Leichenberge, die fast verhungerten lebenden Leichen im längsgestreiften Dress, und bannt das völlig verstörte, so abgrundtief traurige und unheilbar verletzte Gesicht eines vergewaltigten Mädchens auf ein Bild. Forever. For Eternity.
Sie will zeigen, was ist.
Die Frage der Menschenwürde müsste sich ihr heute wahrscheinlich dringlicher stellen als damals das akute Problem der Zensur. (Aber noch in der Zeit von Lee Millers frühem Lebensende brachte das Foto des nackten und napalmverbrannten vietnamesischen Mädchens Kim Phúc, oder das von der Erschießung des Vietcong Nguyen Van Lem durch den Polizeichef von Saigon auf offener Straße, womöglich eine Wende in einem kaum weniger grauenhaften Krieg.)
Und dann kam noch das vom Kollegen David F. Scherman geschossene Foto in Hitlers Badewanne. Nach den erschütternden Bildern aus den befreiten KZ’s vielleicht ein persönlich triumphierender Kontrast – für sie, und mehr noch für ihn vieleicht, den Juden.
So oft – als Fotografin – ein von mächtiger Zensur gebranntes Kind, posierte Lee Miller sehr züchtig bei ihrem Bad in Hitlers Wanne. Verdreckte Kampfstiefel und die abgelegte Uniform sind zu sehen, eine antike Marmorschönheit am Rand und ein fast neckisch hindrapiertes Führer-Porträt – das Ganze übrigens exakt am Tag von dessen Tod im Berliner Bunker aufgenommen. Auf dem Vice-versa-Foto vom (jüdischen) Life-Reporter rückte Lee Miller wohl ganz absichtsvoll auch den Duschkopf ins Bild.
Sie mögen berühmt geworden sein, diese Bilder: Banal und geschmacklos sind sie trotzdem, im Grunde nur billiger symbolhafter Voyeurismus. Bei den Kriegs- und Opferaufnahmen liegt das Problem anderswo, für das es keine letztgültige Lösung gibt. Natürlich zählen Lee Millers Fotos inzwischen zu den wichtigsten Bild-Dokumenten jener Epoche und Zeit, vergleichbar dem Bild vom Warschauer Judenjungen mit seinen erhobenen Händen oder dem Mädchen im Viehwaggon auf dem Weg nach Auschwitz oder Treblinka.
Würde versus Wirkung.
Auch für die (für heutige woke Neo-Prüderie) fast frivolen Frauenbilder von Lee Millers junger, freier und wilder Zeit gab sich Kate Winslet übrigens sehr freizügig und uneitel her, wohl ohne Double. Diese Frau in ihren mittleren Jahren und in ihrem wachsenden Mut stellt sie in einer fast soghaften Tiefe dar, die keinerlei vorteilhaftes Body-Styling braucht. Dieses Gesicht von altersloser Schönheit, von Charakter und Charisma, aber auch dieser entschlossen gespannte, kraftvolle Körper einer reifen Frau werden – wenigstens für ein paar Zuschauer, womöglich gerade die weiblichen – vielleicht noch nachhaltiger in Erinnerung bleiben als das romantische, im Grunde austauschbare Hübschchen vom Bug der „Titanic“.
Nun ja, bei der in Trunk und Rauch und Depression dann doch seelisch sehr verelendeten späten Lee Miller waren die Visagisten der „Fotografin“ gnädig. Das darf dann schon auch so sein.