Kino

„Das Lehrerzimmer“ – eine Tragödie

Die deutsche Produktion „Das Lehrerzimmer“ von Ỉlker Çatak ist zurecht für einen Auslands-Oscar nominiert

TÜBINGEN. „Das Lehrerzimmer“ – ein scheinbar ganz alltäglicher Schulkonflikt an einer ganz normalen deutschen Lehranstalt, Mittelstufe. Es geht um Diebstähle. Ganz bescheiden kommt dieser Film von Ỉlker Çatak daher, ohne Wichtigtuerei in Aufwand, Effekten oder auch im Soundtrack, ohne formale, ästhetische Kühnheiten oder anderweitige Kunst-Spielereien. Aber der Regisseur und seine Kamerafrau Judith Kaufmann wissen natürlich um den Goldenen Schnitt bei der Bildaufteilung, sie wissen, wie man Farben abstimmt und einsetzt, und wissen, wie man Figuren staffelt, um Raumtiefe zu schaffen. Sie beherrschen ihr Handwerk.

Leonie Benesch in ihrer Rolle als Carla Nowak, Frau Nowak, die Klassenlehrerin einer Siebenten, ist eine vorzügliche Schauspielerin, vielleicht noch nicht ganz von der Präsenz und Präzision einer Sandra Hüller, aber nicht gar zu weit davon entfernt von dieser doppelt nominierten deutschen Oscar-Hoffnung. Auch die Nebenrollen sind durchweg ausgezeichnet besetzt, etwa die aus der Türkei stammenden Eltern von Ali, vor allem aber die schauspielerisch unfassbar gut geführten Kinder an der Schwelle zu Jugend und Erwachsenwerden, allen voran der scheue Oskar (Leonard Stettnisch), nicht nur seiner Begabung wegen eine Art Augenstern seiner mit allen ihren Idealen neu in die Klasse und neu ins Kollegium gekommenen Carla.

Dass „Das Lehrerzimmer“ jetzt für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert ist, hat aber noch andere gewichtige Gründe. Denn das ist nicht einfach ein Schuldrama, ein Schülerdrama, ein Coming of age, ein Lehrerinnen-Drama. Das ist ganz im mythischen Sinn des griechischen Theaters oder von Shakespeare eine Tragödie, für deren Text auch Johannes Duncker als Co-Autor des Drehbuchs höchstes Lob verdient. Denn der kleine Konflikt zu Beginn zieht eine Kaskade von jeweils neuen, immer auswegloseren Konflikten nach sich.

Lauter Dilemmata, die nicht aufgelöst werden können wie der Rubik-Zauberwürfel, bei dem das Carlas mathematisch so hochbegabtem Lieblingsschüler Oskar so mühelos gelingt. Ausgerechne t dessen alleinerziehende Mutter, die Schulsekretärin, wird suspendiert, solange der Verdacht gegen sie nicht ausgeräumt ist. Aber nichts, überhaupt gar nichts wird da geklärt, gelöst, befriedet.

Klassenlehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) gerät in immer tiefere Verzweiflung. Screenshot: mab

Im Gegenteil, auch für die schuldlos schuldig gewordene Carla und den verzweifelt um die Ehre seiner Mutter kämpfenden Oskar spitzt sich alles immer weiter zu. In der klassischen Tragödie steht am schicksalhaften Ende der Tod und soll „Furcht und Mitleid“ auslösen bei den Zuschauern, reinigende Erschütterung. In diesem großartigen Film ist es ein still weinendes Kind.

Hier sind die Links zu Kritiken weiterer Filme, die für die Oscar-Verleihung am 10. März in Los Angeles nominiert sind:

Napoleon (Ridley Scott) https://cul-tu-re.de/napoleon-im-kino-voila-un-homme/

Maestro (Bradley Cooper https://cul-tu-re.de/maestro-der-bernstein-film/

Perfect Days (Wim Wenders) https://cul-tu-re.de/wim-wender-perfect-days/

The Zone of Interest (J.Glazer) https://cul-tu-re.de/zone-of-interest-die-banale-boese/

Oppenheimer (C. Nolan) https://cul-tu-re.de/oppenheimer-jenseits-der-kritischen-masse/

Anatomie eines Falls (J. Triet) https://cul-tu-re.de/oscars-der-fall-sandra-hueller/

Das Lehrerzimmer (I.Catak) https://cul-tu-re.de/das-lehrerzimmer-eine-tragoedie/

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