Kino

Maria Montessori – Ikone ohne Schatten

Léa Todorovs Biopic „Maria Montessori“ über die Reformpädagogin läuft im Tübinger Museum, der Reutlinger Planie sowie in Mössingen, in Metzingen und in Rottenburg

TÜBINGEN/REUTLINGEN. Maria Montessori ist eine Lichtgestalt für die Pädagogik und für die Frauenbewegung, weltweit und bis heute. Ihr wissenschaftlicher, pädagogischer und persönlicher Mut machte es überfällig, dass sich auch der Film einmal mit dieser Figur, diesem Leben befassen würde. Die französische Regisseurin Léa Todorov hat es getan und ein opulent schönes Biopic inszeniert, das die Verehrung zuweilen in Pathos, ja in Kitsch kippen lässt. Maria Montessoris Schatten musste sie dabei ausblenden.

Im Jahr 1924 begegnete die emanzipierte Frau und anerkannte Pädagogin jenem Benito Mussolini, dem zwei Jahre zuvor mit dem „Marsch auf Rom“ an die Macht gekommenen Duce, dem italienischen Faschistenführer. Montessoris Methoden, von Rassenlehren unterfüttert und von einem besonderen Mutterbild begleitet, wurden Teil von Mussolinis Schulpolitik. Erst um 1934 begann eine Entfremdung, die schließlich zum Verbot ihrer Pädagogik und zu Montessoris Emigration nach Indien führte. Bis zu ihrem Tod in Holland im Jahr 1952 aber hat sich Maria Montessori nie von Mussolini distanziert oder eine ihrer rassistischen Aussagen widerrufen.

Es scheint legitim, dass sich Léa Todorov auch als Drehbuchautorin auf die Jahre beschränkte, in denen die (aus emanzipatorischem Prinzip) unverheiratete Mutter Maria Montessori mit ihrem wissenschaftlichen und pädagogischen Mitstreiter Giuseppe Montessano ihren gemeinsamen Sohn Mario gebar, das Kind vor der rigide rückständigen Gesellschaft des bürgerlich-katholischen Italien verbarg und von einer Amme auf dem Land großziehen ließ, um sich ganz der Wissenschaft, ihren integrativen Case dei bambini für behinderte Kinder und der Verbreitung ihrer pädagogischen Methoden widmen zu können. Die kürzestmögliche Zusammenfassung dieser Methoden heißt: Zuwendung.

Zuwendung – Jasmine Trinca als Maria Montessori. Foto: Verleih, Repro: mab

Der dramaturgische Kniff, der kämpferischen Lichtgestalt Maria Montessori eine etwas unglaubhaft erfundene Figur, die mondäne Pariser Kokotte (heute würde man sagen Society-Lady oder Escort-Dame) und unfreiwillige Mutter der behinderten Tina an die Seite zu stellen, führt immerhin dazu, dass Leïla Bekhti als diese Lili d’Alengy mit parallelem Schicksal – beider Mutterschaft wird dadurch zum zentralen Thema – die Montessori-Darstellerin Jasmine Trinca an schauspielerischem Glanz sogar noch überstrahlen darf.

Leïla Bekhti als Lili d’Alengy. Foto: Verleih

Das hängt auch direkt damit zusammen, dass diese Kurtisane als Konflikt-Charakter angelegt ist, während die Hauptdarstellerin bis auf einen kleinen Wutanfall bei ihrem Kampf gegen äußere Widerstände nur im reinsten und hellsten Licht leuchtet. Die übrigen Figuren, gerade auch die männlichen (wie der vorgesetzte Kollege und Kindsvater) oder die aus der ländlichen Unterschicht (wie die Amme) bekommen kaum Kontur, die über Klischées hinausgehen würde.

Maria Montessori (Jasmine Trinca) besucht ihren Sohn Mario bei der Amme auf dem Land. Screenshot: Martin Bernklau

„Maria Montessori“ ist mit der Opulenz eines Gesellschaftsdramas aus der Belle Époche und mit dem Historismus eines noch völlig männer-dominierten akademischen Betriebs jener Jahre ausgestattet und abgedreht. Auch die Szenen auf dem Lande zeigen nichts von Armut und Elend, üben keinerlei visuelle Sozialkritik, sondern feiern in schönen Farben, großen Tableaus und ruhigen Schnitten ein grünes Idyll. Die größte Tiefe und Stärke erreicht „Maria Montessori“, wenn der Film sehr geduldig und schlicht die Arbeit mit den behinderten Kindern schildert.

Der Tonfall rutscht gegen Ende immer mehr ins pathetisch Bekenntnishafte, tatsächlich sogar bis in eine fast schon propagandistisch-gutmenschliche Rhetorik. Aus dem Off tönt es: „Mein Sohn, ich werde dir alles geben. Dir die Freuden, mir die Schmerzen.“ Das klingt – nach einer 15 Jahre währenden Verleugnung und Abschiebung des Kindes – nicht nur ziemlich heuchlerisch. Es ist auch eindeutig zuviel des Guten. Und viel zuwenig an Schatten.

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