Der Franz-Kafka-Film von Georg Maas und Judith Kaufmann feiert noch im Tod „Die Herrlichkeit des Lebens“
TÜBINGEN. „Im Kino gewesen. Geweint.“ Wer hätte gedacht, dass dieses beiläufig berühmte Wort aus den Tagebüchern von Franz Kafka einmal so auf einen Film passen könnte, der sich dem letzten Lebensjahr des Dichters, seiner Liebe zu Dora Diamant und seinem qualvoll stillen Sterben im Lungensanatorium Wienerwald widmen würde? Hundert Jahre ist das her. „Die Herrlichkeit des Lebens“ ist ein unfassbar schönes Stück Kino, das in allen Lichtspielhäusern der Region läuft.
Wie bei allem wahrhaft Poetischen ist an dem Film, den Georg Maas nach Roman von Michael Kumpfmüller mit Co-Regisseurin Judith Kaufmann mit präzisem Understatement inszenierte, die zu den bedeutendsten Kameraleuten überhaupt zählt, nichts Überflüssiges, Schwülstiges oder gar Kitschiges: kein Blitz als Coup de foudre beim ahnungsvoll vorsichtigen Kennenlernen am Ostseeheilbad Graal-Müritz, kein bedeutungsschwangeres Gewese im sachten Aufblühen tiefer Liebe und Fürsorge, kein Stöhnen, Keuchen, Schwitzen beim behutsamen Sex, kein Leidenspathos im Dahinsiechen an der tödlichen Tuberkulose. Paul Eisenachs Musik ist unaufdringlich. Sogar der Doktor bleibt sachlich in seiner Zugewandtheit.
Nirgendwo Wichtigtuerei. Die Landschaft ist schön genug an der Ostsee. Es braucht keine Nebel, keine Morgenröte, keinen blutroten Sonnenuntergang. Auch keinen Weihrauch, kein Geklingel bei Kafkas gewissenhaftem späten Entdecken und Erschließen seiner jüdischen Wurzeln in Wort und Ritus. Stattdessen feine Beobachtungen in großartig intensiver Schauspielkunst der beiden Hauptdarsteller Henriette Confurius und Sabin Tambrea. Auch die Nebenrollen sind ganz ausgezeichnet besetzt, etwa Kafkas Schwestern oder die Berliner Vermieterin Kasulke (Michaela Caspar) im ihrem Anflug von Menschlichkeit jenseits des Klischees.
Sacht klingt Kafkas Humor an, seine Freude an den kleinen Dingen, seine Lebenslust und seine Liebeskraft. Die Literatur kommt beiläufig zu Wort, mit Auszügen aus der „Verwandlung“, der Fabel von der Maus oder mit dem Märchen, das dieser kinderliebe Kafka dem Mädchen aus Doras Kinder-Gruppe erdichtet, das seine Puppe Mia vermisst. Und doch wird Kafkas Schaffen, sein überkritisches Abarbeiten an den Nuancen der Sprache, sehr nachvollziehbar und gegenwärtig. Nur dem Freund Max Brod (gleichfalls genau und unaffektiert normal dargestellt von Manuel Rubey) verdankt die Welt, dass Kafkas Werk nicht, dessen letztem Willen gemäß, dem Feuerofen anheimfiel. Der übermächtige Vater, den man hätte inszenieren können wie Milos Forman den Mozart-Papa, kommt gar nicht vor außer als eine undeutlich vernehmbare Stimme am Telefon.
„Die Herrlichkeit des Lebens“ ist ein wundervoller Beitrag zum Gedenk-Jahr, der bei allen Freiheiten der Filmkunst doch auch dem Stand der biografischen Forschung zu Kafka entspricht. (FSK ab sechs Jahren)
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