Kino

„Oppenheimer“ – Jenseits der kritischen Masse

Im Vorfeld der Oscar-Verleihung ist der Favorit „Oppenheimer“ über den „Vater der Atombombe“ auch in der Region noch zu sehen

TÜBINGEN. Für die Oscar-Verleihung am 10. März in Los Angeles gilt „Oppenheimer“, das Drama über den „Vater der Atombombe“, in vielen Kategorien als klarer Favorit. Doch Christopher Nolans Drei-Stunden-Epos ist keineswegs der perfekte Film, für den er gehandelt wird. Denn der Regisseur, für seine komplexen Erzählstrukturen berühmt, scheitert an der kritischen Masse des Stoffs. Wissenschaftsthriller, Justiz-Drama, Historien-Epos, Love-Story, Genie-Biopic – es war zuviel des Guten. Und zuviel des realen apokalyptischen Horrors.

Die Faszination der Person Robert F. Oppenheimer (dargestellt von Cilian Murphy) kann Nolans überladener Film natürlich ebensowenig beeinträchtigen wie die wissenschaftliche und welthistorische Bedeutung des „Vaters der Atombombe“. Aber schon die Skizze dieses Lebens misslingt.

Als Sohn jüdischer Einwanderer kam Oppenheimer 1904 in New York zur Welt. Vielfach hochbegabt wurde er in England und Deutschland zum theoretischen Physiker, begegnete den Größten der Zunft von Einstein über Niels Bohr und Max Planck bis Heisenberg, und brachte die Quantentheorie (die das Teilchen, in bis heute unaufgehobenem Widerspruch, in seiner Funktion als Welle, nicht als Masse definiert) nach Amerika.

Im weltgeschichtlichen Wettlauf zwischen den Wissenschaftlern der Nazis – Werner Heisenberg forschte bei Kriegsende im Schlosskeller von Haigerloch an einem Reaktor – und den Amerikanern um den Bau der nuklearen Superwaffe holte ihn das US-Militär als Leiter des strengst geheimen und irrwitzig teuren „Manhattan“-Projekts in die Wüste von Nevada, nach „Los Alamos“, wo seinem Team die Entwicklung zweier Atombomben-Varianten gelang: der Bombe aus angereichertem Uran und der Plutonium-Bombe.

Schon der erfolgreiche „Trinity“-Test am 16. Juli 1945 veränderte die Welt für immer. Am 6. August explodierte die erste Uranbombe über dem japanischen Hiroshima, drei Tage später eine Plutonium-Variante in Nagasaki – und beendete den Zweiten Weltkrieg. Fluch und Segen zugleich.

Oppenheimer wurde Nationalheld, geriet mit dem rapide vereisenden Kalten Krieg und der Konkurrenz zur Sowjetunion allerdings bald ins Fadenkreuz einer hysterischen Kommunisten-Jagd bei den Amerikanern und wurde – statt etwa mit einem Nobelpreis geehrt zu werden – in mehreren politischen Justiz-Verfahren auch als Wissenschaftler kaltgestellt, oder gecancelt, wie man heute sagen würde. Der Kettenraucher starb dann früh an Krebs.

Diesen ungeheuren Lebensbogen – das Liebesleben und den Antisemitismus noch gar nicht erwähnt – bekommt Christopher Nolan von Beginn an nicht in den Griff. Die dramaturgische Ursünde ist vielleicht die Visualisierung von Vorgriffen (eben nicht Rückblenden, wie gewohnt) in Schwarzweiß.

Auch einen Hauptkonflikt dieser Oppenheimer-Story, nämlich den mit seinem ursprünglichen politischen Förderer und später verbissen intriganten Feind Lewis Strauss (Robert Downey), kann der Film nicht nachhaltig aufbauen. Die versehentliche Kränkung mit einem akademischen Späßchen bleibt für die Zuschauer ebenso beiläufig wie das Rätsel von beider Begegnung mit Albert Einstein, das erst zwei, drei Stunden später seine etwas läppische Lösung erfährt.

Die Überfülle des ohne klare Schwerpunkte verwursteten Stoffs sorgt auch für eine nervige Hektik in der Dialogen. Filmisch durchgängig in rasendem Schuss-Gegenschuss-Schnitt bebildert, treibt ein penetranter Soundtrack das Tempo vollends dem schwer Erträglichen entgegen.

Für die Zeichnung der außerehelichen Liebesgeschichte mit der einstigen linken Genossin, der Psychologin Jean Tatlock (Florence Pugh), die sich schließlich umbringt, bleibt keine Zeit und keine Ruhe. Auch die durch die Trunksucht von Kitty (Emily Blunt) gefährdete Ehe der Oppenheimers reißt der Film nur in atemlosem Schnelldurchlauf an. Beides hätte ein eigenes Psycho-Drama abgeben können. Die wissenschaftliche Konkurrenz und der politische Konflikt mit Edward Teller, dem späteren Erfinder der Wasserstoffbombe, gewinnt ebenfalls keinerlei Tiefenschärfe.

Das können auch die großartigen schauspielerischen Leistungen des Casts um Cilian Murphy als J. Robert Oppenheimer nicht wirklich retten. Die kleine Nebenrolle von Matthias Schweighöfer als blasierter Heisenberg sei ebenso erwähnt wie Matt Damon als militärischer Chef Leslie R. Groves beim Manhattan Project.

Während die sehr gekonnten, echt amerikanischen Animationen als Visualisierung physikalischen Denkens oft den Rand des Infantilen streifen, hat der Film einen ganz großen Moment, als sich die irrwitzig zugespitzte Spannung um den Trinity-Test mit dem Feuersturm der Explosion auflöst in eine absolute Stille und Ruhe.

Es hätte die mit minimaler Chance befürchtete Auflösung der Welt durch die nicht mehr zu stoppende Kettenreaktion sein können. Tübingen-Bezug am Rande: So etwas hält heutzutage auch der ausgegrenzte Chaosforscher Prof. Otto Rössler – ganz sicher kein Spinner – bei den Genfer CERN-Versuchen zu Schwarzen Löchern nicht für letztlich völlig auszuschließen und kämpft so verbissen und wie vergeblich gegen dieses apokalyptische Restrisiko an.

Dass die Folgen der Forschung mit den Toten von Hiroshima und Nagasaki im Film keinen Platz bekommen, ist nicht nur legitim, sondern wegen der Überfülle des Stoffs und der erzählten Stränge schlicht unvermeidlich. Sie sind auch so präsent. Es genügt schon, dass nach diesem Point Zero die ganze Gerichts- bzw- Ausschuss-Story trotz höchster emotionaler Spannung nur noch blass und fade wirken kann. Oppenheimers aus dem indischen-hinduistischen Bhagavad Gita übernommenes Menetekel-Wort muss reichen: „Jetzt bin ich zum Tod geworden, zum Zerstörer von Welten“.

Abräumen wird Christopher Nolans „Oppenheimer“ trotzdem bei den Oscars-Verleihungen am 10. März. Und das mag auch so in Ordnung sein.

Hier sind die Links zu Kritiken weiterer Filme, die für die Oscar-Verleihung am 10. März in Los Angeles nominiert sind:

Napoleon (Ridley Scott) https://cul-tu-re.de/napoleon-im-kino-voila-un-homme/

Maestro (Bradley Cooper) https://cul-tu-re.de/maestro-der-bernstein-film/

Perfect Days (Wim Wenders) https://cul-tu-re.de/wim-wender-perfect-days/

The Zone of Interest (J.Glazer) https://cul-tu-re.de/zone-of-interest-die-banale-boese/

Oppenheimer (C. Nolan) https://cul-tu-re.de/oppenheimer-jenseits-der-kritischen-masse/

Anatomie eines Falls (J.Triet) https://cul-tu-re.de/oscars-der-fall-sandra-hueller/

Das Lehrerzimmer (I.Catak) https://cul-tu-re.de/das-lehrerzimmer-eine-tragoedie/

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