Musik

WPR-Sinfoniekonzert – Französisches Finale

Ravel, Debussy, Koechlin: Ariane Matiakh dirigiert in der Reutlinger Stadthalle ihre Württembergischen Philharmoniker und den Akademischen Chor der Tübinger Uni

REUTLINGEN. Das Reutlinger Publikum gab seiner Chefdirigentin die Ehre. Die Stadthalle war trotz Sommerhitze fast voll besetzt, als Ariane Matiakh am Montagabend zum letzten Sinfoniekonzert der Saison ans Pult schritt. Als Französin hatte sie sich zum Finale ein rein französisches Programm vorgenommen und als Gast der Württembergischen Philharmoniker nicht wie üblich Solisten, sondern den Akademischen Chor der Universität Tübingen eingeladen.

Ariane Matiakhs Württembergische Philharmoniker und der von UMD Philipp Amelung einstudierte Akademische Chor der Uni Tübingen beim Saisonabschluss in der Reutlinger Stadthalle. Fotos: Martin Bernklau

Bis auf Charles Koechlins intensiv kurzes „Au loin“, mit dem das Konzert begann, waren es alles Gipfelwerke einer Stilepoche, in der Frankreich mit dem sogenannten Impressionismus, der schon den Expressionismus in sich barg, und dem Abendrot tonaler Bindung ganz fraglos die Führung in der europäischen Musik übernommen hatte: zwischen Hochromantik und atonaler Moderne, zwischen Wagner und zwölftöniger Wiener Schule. Dass diese relativ kurzen Stücke von Ravel und Debussy hier eher selten zu hören sind, hängt natürlich nicht mit irgendeiner (auch habsburgisch) deutsch-französischen Erb-Konkurrenz, sondern auch mit dem riesigen Besetzungs-Aufwand zusammen, den ein verfeinert dekadentes, aber auch technik-affines Fin de Siècle vor dem Epochenbruch des Ersten Weltkriegs aufbot.

Großer Klangaufwand: Zwei Harfen und eine Celesta hinter den Primgeigen. Foto: Martin Bernklau

Für den familiär im Elsass verwurzelten Pariser Charles Koechlin (1867 bis 1950), hierzulande für lange Zeit kaum wahrgenommen, könnte Ariane Matiakh womöglich ein kleines persönliches Faible haben. „Au loin“, in der Ferne, als Opus 20 anno 1895 zunächst für Englischhorn (die dunkle Oboe) und Klavier entstanden, ist eine atmosphärisch zauberhafte Miniatur, die Vieles von dem verdichtet, womit die Epoche schwanger ging: die Dekonstruktion auf kleinste Motive etwa, hier einen Quartsprung im leeren, offenen Quint-Klangraum, oder der fluide Wechsel zwischen Dur und Moll, Kirchentonarten oder Pentatonik und erweitert tonaler Bindung bis zu völlig losgelöster Atonalität; auch in der Instrumentation suchte man neue Farben, hier noch in kleinerer bläser-geneigter Besetzung.

Viel Arbeit für das tiefe Blech und das Schlagwerk – vor dem Akademischen Chor der Uni Tübingen.
Foto: Martin Bernklau

Das war wunderbar, mit welch verträumter, traumhafter Akkuratesse sich dieser besondere Klangzauber unter den Händen einer hochkonzentrierten Dirigentin bei den Württembergischen Philharmonikern entfalten durfte – Einführung in eine Klangwelt, die sich in der Suite Nr. 2 „Daphnis et Chloé“ fortspann, von Maurice Ravel unmittelbar vor Kriegsausbruch aus der im Streit abgesetzten Ballettmusik für Sergei Diaghilews Balletts Russes destilliert: eine für alle Orchesterteile höchst virtuose Partitur, in der Ravel seinen komplexen Satz, diesen extrem ausdifferenzierten, kontrastreichen Klang mit transparenter französischer Clarté verbindet.

Der Chor fügte sich ein, mit textfreien Tönen, die in vibratoloser Reinheit das Spektrum dieser ungemein plastischen, bildhaften und klar konturierten Musik – ein antiker Stoff ist Grundlage – erweitern. Das genaue und auch in vielen engagierten Soli hochinspirierte Spiel der Philharmoniker hatte Magie.

Die textlosen Frauenstimmen in Debussys „Sirènes“. Foto: Martin Bernklau

Vielleicht hätte Claude Debussys epochales Schlüsselwerk „L´après-midi d’un faune“ zuviel Eigengewicht gehabt, vielleicht sollte – in den Frauenstimmen der „Sirènes“ – auch nur das Gastspiel des Chors ganz ausgenutzt werden. Die „Trois Nocturnes“ um Nuages (Wolken), ein Fest und um die homerischen Verführerinnen zeigen die Elemente von Debussys Kunst in Satz und Harmonik, seiner Klangfinesse und seinem Aufbruchswillen auch sehr gut, wobei das Genre szenischer, bildhafter gedacht ist als etwa Chopins nächtliche Stimmungsstücke. In den drei kontrastierenden Sätzen gefiel neben dem nuancierten und genau ausgearbeiteten Klangbild auch die subtile Dynamik (besonders in den zentralen „Fêtes“) von zartem Schweben bis zu donnerndem Paukenschlag und kraftstrotzendem Blech.

Ravels nur knapp zwölfminütiges „La Valse. Poème choreographique“, um das Jahr 1906 als Hommage an eleganten Wiener Schwung und den Walzerkönig Johann Strauß angedacht, über die furchtbaren Jahre von „La Grande Guerre“ ausgearbeitet und dann 1920 veröffentlicht, galt schon damals als verstörend. Verbindet der hochsensible und hellsichtige Ravel darin doch die Apotheose, die anbetende Vergöttlichung jenes Tanzes mit der Apokalypse dieses Krieges. Ein Unding. Hier die leichte, elegante Bewegung in festlicher Pracht, dort der „Totentanz“, der Untergang des alten Europa in Eisen, Blut und Dreck.

Der Walzer wird erst allmählich triolisch aus einem Viererrhythmus hörbar, verschwindet immer wieder in einem Nebel und schwingt sich nur selten zur verflossenen Seligkeit des ganzen eleganten Glanzes einer Wiener Belle Èpoche auf. Zwei Harfen zaubern das Ätherische, reichlich Schlagwerk und Blech donnern den Krieg. Zwischendrin eine Piccoloflöte, die fröhlich tirilieren und gefährlich scharf schneiden kann. Das hatte unter Ariane Matiakhs Händen nicht nur eine Fülle von Farben im Klang und eine suggestive Rhythmik, sondern in all seiner präzisen Wucht und filigranen Verletzlichkeit auch große Überzeugungskraft im Verbinden von Unvereinbarem, auch wenn Teile des Orchesters ihrer Leiterin gegen Schluss zuweilen um ein paar Millisekunden enteilten.

Freundlich kollegialer Beifall zwischen Tübingens UMD und Chorleiter Philipp Amelung und
Ariane Matiakh.
Foto: Martin Bernklau

Wie bei allen Werken jubelte das Publikum lang und laut – und die Dirigentin hatte viel zu tun, all die solistisch oder als Gruppe hervorgehobenen Instrumentalisten dem Sonderapplaus darzubieten. Ein herrliches, ein herausragendes französisches Finale der Saison für Ariane Matiakh und ihre Württembergische Philharmonie.

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