Bei den Sommerkonzerten in Bebenhausen spielte die junge Sofia Vasheruk anstelle des Pianisten Martin Kirschnereit
BEBENHAUSEN. Sie sprang ein. Anstelle des angekündigten Martin Kirschnereit, den man zur ersten Reihe der deutschen Pianisten zählen darf, spielte am Samstagabend die junge Russin Sofia Vasheruk in der sommerlichen Konzertreihe im Kloster Bebenhausen. Das Sommerrefektorium war nach der Absage des namhaften Solisten vor Wochenfrist nur zu drei Vierteln besetzt. Aber Sofia Vasheruk beeindruckte sehr mit einem leicht vom Gedruckten abweichenden Programm, das – bis auf Busonis wuchtig überwältigende Version der Bach-Chaconne – nur aus Préludes ausgesprochener Klavierkomponisten bestand.

Das ließ sich schon daran erkennen, dass es keinen Beifall, sondern andächtige Stille gab nach den einzelnen Abschnitten. Dazu gehört Autorität. Dazu gehört Aura. Darüber gebot die in Moskau geborene, inzwischen mir Preisen überhäufte und weltweit auch kammermusikalisch und als Liedbegleiterin gefragte Russin ganz fraglos. Als „russische Schule“, kraftvoll und kontraststark, bis hin zum Romantisieren tiefem Ausdruck verpflichtet, könnte man ihr affektvoll agogisches Spiel beschreiben, wie ein weiblicher Rachmaninow gewissermaßen.
Unter den vier Préludes aus dem (alle Tonarten umfassenden) Zyklus opus 28 von Frédéric Chopin war auch das „Regentropfen-Prélude“, das zum Sinnbild für Chopins mallorquinische Liebeszeit mit Georges Sand geworden ist, ansonsten überhaupt eher dunkle, drängende, repetitiv geprägte Beispiele wie die zu Beginn tief in Bassregionen wühlendes, aber auch ein aus zartem Tupfen heraus fast choralhaft endendes Dur-Stück als Abschluss.
Wie sich Chopin auch an Bach orientierte, so nahmen sich die Späteren Frédéric Chopins in der Form freie, aber konzentrierte Klavierkunst als Vorbild: Skrjabin, Rachmaninoff, auch Debussy bis hin zu einem Anatoli Ljadow oder George Gershwin. Sofia Vasheruks ganz eigener, ausdrucksstarker Zugriff blieb auch bei Alexander Skrjabins zwei durchaus polyphon geprägten Préludes aus Opus 11 derselbe: Zwischen versunkenen Träumereien in feinster Zurücknahme, kantigen Kaskaden und kraftvollen Crescendi bis hinein in sinfonische Wucht entspann sich auch in Tempo und Rhythmus eine ganz weite Agogik mit ausgeprägten gefühlvollen Rubati.

Der reiche Pedaleinsatz passte natürlich auch zum virtuosen Tastenlöwen Sergei Rachmaninow (1873 bis 1943), der mit dem trillerreichen Prélude cis-Moll aus Opus 3 und der Nummer 12 gis-Moll aus Opus 32 vertreten war, das in seiner oft halbtönig geprägten Melodik zwischen Ätherischem und großem sinfonischem Klang changierte.
Vielleicht nicht gar so glitzernd brillant, dafür mit ungemein kraftvollem Anschlag und sorgsam subtiler Melodik in den spielte Sofia Vasheruk den eher weichen, sonoren Bechstein-Flügel auch bei Claude Debussy (1862 bis 1918). War das letzte Prélude nicht das neckische, tänzerisch kraftstrotzende, etwas wüste mit dem Untertitel „Général Lavine“ aus dem zweiten Buch? Jedenfalls wurde die Pianistin von großem, fast ehrfürchtigem Beifall in die Pause geleitet.

Noch weit mehr sinfonische Wucht, aber auch ihren feingliedrigen Gegensatz gab es danach mit Ferrucio Busonis Bearbeitung der Chaconne d-Moll für Violine solo von Johann Sebastian Bach. Es gibt Puristen, die Busonis pianistisch so exzentrisches Stück, die solch einen Umgang mit einem der vielleicht größten, vielleicht heiligsten Instrumentalstücke der Musikgeschichte für unstatthaft halten. Hört man das Original (hier etwa mit der großen Geigerin Viktoria Mullova) ist die Skepsis noch besser nachvollziehbar als bei Busonis Bearbeitungen von Bach-Choralvorspielen, die der sterbenskranke Dinu Lipatti unsterblich gemacht hat. Aber natürlich verstand Busoni die Struktur des Stücks, so wie sie seine pianistisch aus íhrem Volle schöpfende Interpretin ebenso verstand.
Auch die so freie und charismatische Bearbeitung Alexander Silotis von Bachs Präludium h-Moll gehört in diese Kategorie, die man den Pianisten nicht aus Dogmatismus wegnehmen sollte. Auch hier deutete Sofia Vasheruk einen doch eher kargen, suggestiven Satz mit großer Emphase, hingebungsvoll phrasierter Melodik und weitester dynamischer Bandbreite aus. Ganz russische Schule, ganz russische Tradition. Ja, natürlich: Man soll dieses wunderbare Encore auch in dieser Art spielen dürfen.
Weil ein anderer Termin rief, war es für einen bei aller Skepsis tief beeindruckten Rezensenten tatsächlich das Encore. Für die weiteren Werke (Préludes von Ljadow und Gershwin) und die wirklichen Zugaben wird das dem andächtig lauschenden Publikum nicht anders gegangen sein.
