Musik

Motette – Frei, fromm und bunt

Der Coro Vivo sang unter der Leitung von Bernhard Wolf in der Tübinger Stiftskirche mit „Hoffnung und Vertrauen“ ein weit gespanntes geistliches Programm

TÜBINGEN. Das passte: Zu Beginn umrahmten die Sänger des Coro Vivo mit ihren an die 80 Frauen- und Männerstimmen das vollbesetzte Mittelschiff der Tübinger Stiftskirche. Unter der Leitung seines Gründers Benjamin Wolf begann der Chor seine stilistisch sehr weit gespannte, grob nach Epochen geordnete Folge eher kurzer geistlich-frommer Stücke mit dem Weimaraner Kirchenlied-Komponisten Melchior Vulpius (1570 bis 1615) und seinem Choralsatz „Hinunter ist der Sonne Schein“. Die recht gut besuchte Motette vom Samstagabend endete mit einem kenianischen Spiritual.

Der im Jahr 2006 gegründete Tübinger Chor und sein Dirigent legen größeren Wert auf eine breite Vielfalt in einem sorgsam und sauber erarbeiteten Repertoire, auf gestalteten Ausdruck und auf eine überspringende Freude am Singen als auf hochverfeinerte Stimmkultur. Die Spitze der klanglich exquisiten Tübinger Chöre findet da eine wichtige Ergänzung.

Das Publikum in die Mitte genommen: Der Coro vivo beginnt mit einem Vulpius-Choral aus der Spätrenaissance.
Fotos: Martin Bernklau

Heinrich Schütz (1585 bis 1672) baute nach der Wende zum Barock auch regional auf dieser Tradition auf. Sein „Herr, auf dich traue ich“ schwang bei genau ausgearbeiteten Einsätzen in einer frischen, lebendigen Diktion. Nicht weniger ausdrucksstark und genau auch in einer durchweg verlässlich sauberen Intonation phrasierte der Coro Vivo das hochromantische „Herr nun lässest du (Nunc dimittis“) von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 bis 1847) und entließ die Gläubigen gewissermaßen vor der „Ehre“-Doxologie mit einem besonders schönen Schluss.

Das galt auch für das affektreich neo-romantische „Aus der Tiefe“, ruf ich, Herr, zu Dir“, das bekannteste Chorstück von Heinrich Kaminski (1886 bis 1946) und für die reine Romantik von Max Bruchs (1838 bis 1920) „Gebet“.

Aufmerksam mit sehr akkurat ausgearbeiteten Stücken: der Tübinger Coro Vivo. Foto: Martin Bernklau

Das „Nearer, My God, to Thee“ ist ein inniges Glaubensbekenntnis des amerikanischen Kirchenmusikers und Pädagogen Lowell Mason, hier in einem Arrangement von James L. Stevens. Dem Introitus mit Cantus firmus im Sopran ließ der Chor ganz aufmerksam und sicher bis zum frischen Schluss-Ruf den ganz eigenen Ton dieser Musik folgen, wobei die an Stimmzahl deutlich unterrepräsentierten Männer sich bewundernswert gut schlugen.

Der norwegische Nationalkomponist Edvard Grieg (1843 bis 1907) ist für geistliche Musik eher weniger bekannt. Aber sein besonderer nordischer Ton war auch in seinem Marienhymnus „Ave maris stella“ unverkennbar. Der vielseitige Franzose Maurice Duruflé (1902 bis 1986), vor allem als Organist berühmt, hatte keine Probleme damit, über den schwebenden Dissonanzen seines tief frommen „Ubi caritas“ doch ganz in der Tonalität von Dur und Moll verankert zu bleiben. Auch dies ein nicht gar zu schwere, ausdrucksstarkes Stück.

Eine gut besuchte Stiftskirchen-Motette. Foto: Martin Bernklau

Dann wurde es etwas exotisch, zeitgenössisch und gewissermaßen indigen mit dem von Frode Fjellheim (* 1959) geschaffenen Stück „Eatnemen Vuelie“, das auf der skandinavisch-russischen „Yoik“-Tradition der Samen, des Rentierhirten-Volks beruht und mit der Hymne „Fairest Lord Jesus“, aber auch mit dem Diesney-Film „Die Eiskönigin“ verbunden ist. Eine interessant repetitive, von den Frauenstimmen schön und ganz intensiv dargebotene repetitiv geprägte Chormusik.

Für eine von Jan-Hendrik Hermann für Chor arrangierte Version des Coldplay-Hits“Fix You“ mit ihrem pfiffigen Dreiton-Motiv und den großen fürsorglichen Liebesgefühlen waren die vielleicht 20 Männerstimmen auch wieder gefragt. Das Tröstliche dieser Pop-Rock-Ballade verträgt durchaus eine religöse Deutung. Die tiefe Gläubigkeit afrikanischer Christen kommt hingegen in „Wana Baraka“, einem von Shaw Kircher arrangierten Traditional aus Kenia ganz unmittelbar zum Ausdruck. Leise beginnend, baute der Coro Vivo auch dieses in unwiderstehlicher Rhythmik gehaltene Segensgebet bis zum finalen „Alleluya“ eindrücklich auf.

Großer Beifall nach kurzer Stille.

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