Musik

Klosterkonzerte – Für alle Tage

Im Sommerrefektorium gastierte die Schola Gregoriana Prag unter dem Motto „Septem Dies“.

Über die Schola Gregoriana Prag (oder Pragensis) braucht nicht mehr viel gesagt zu werden; sie hat sich in Tübingen schon mehrfach als eindrucksvolles Ensemble präsentiert und sorgte wieder für ein ausverkauftes Haus im Sommerrefektorium des Klosters. An der Besetzung mit sieben Sängern plus Gründer/Leiter David Eben hat sich nichts geändert, nur zwei Namen sind neu.

Das Besondere an dieser Schola ist die Verknüpfung von Forschung und Praxis. Auf ihrer neuesten CD „Septem Dies“ (sieben Tage), die dem aktuellen Programm zugrunde liegt, werden neu entdeckte Quellen aus einem Collegium der Universität Prag singend rekonstruiert: eine Art musikalischer Wochenplan der damaligen Studierenden, der neben liturgischen Gesängen auch „Unterhaltsames“ umfasst, beinahe durchweg in lateinischer Sprache. Damit gehen Eben und die Seinen über den Rahmen der Gregorianik hinaus und erweitern ihr Repertoire in den weltlichen Sektor und bis ins 15. Jahrhundert hinein.

Die Schola Gregoriana Pragensis im Bebenhäuser Sommerrefektorium. Fotos: Susanne Eckstein

Der Ablauf des Konzerts folgt den sieben Tagen von Montag bis Sonntag, wobei jeder Tag einem Thema gewidmet ist: Der Montag gedenkt der Verstorbenen, der Dienstag der heiligen Katharina (unter anderem Schutzpatronin der philosophischen Fakultäten), der Mittwoch des heiligen Martin; am Donnerstag wird der Leib Christi verehrt (wie aktuell an Fronleichnam), am Freitag in einer Lesung aus dem Buch Jeremia der Passion Christi gedacht, am Samstag der heiligen Jungfrau Maria, am Sonntag wird Festgottesdienst gehalten.

Jeder einzelne Tag wiederum beginnt mit liturgischen Gesängen wie Kyrie, Antiphon, Sanctus oder Graduale; diese entsprechen als weitgehend einstimmige Gesänge dem „gregorianischen“ Muster. Ihr spiritueller Charakter wird im schlichten, introvertierten Gesang der Schola überzeugend verwirklicht und wäre durch das ansonsten bei jeder Pause einsetzende Klatschen des Publikums ziemlich gestört worden, wenn Eben und seine Sänger die Abschnitte nicht klugerweise dicht aneinandergereiht hätten.

Die nicht-liturgischen zweiten Teile der „sieben Tage“ boten neben der witzigen, schon im Vorjahr zu hörenden Klage über die Geldnot vor allem musikalisch Neues und Spannendes in Form von Beispielen früher Mehrstimmigkeit, meist dreistimmige Motetten unbekannter Komponisten nach franko-flämischem Vorbild: Hier sind die Stimmen in solch strenger, artifizieller Kontrapunktik verflochten und noch so fern der späteren „romantischen“ Musikästhetik, dass heutige Normal-Ohren sie als quasi atonale Neue Musik hören und man den abwechselnd solistisch heraustretenden Sängern hie und da die außergewöhnlichen Mühen der Umsetzung anmerken kann. Es ist ihnen hoch anzurechnen, dass sie diese sehr ferne, europaweit verbreitete Kunstmusik live – lebendig – zugänglich machen.

Die Texte sind teils geistlich, teils weltlich: Sie fragen nach dem Nutzen des Studiums fürs Leben, erzählen von geldgierigen Frauen und loben Sankt Martin; hier tauchen auch Verfassernamen auf: Bernard de Cluny und Antonio da Cividale, italienischer Komponist der Frührenaissance.

Zum Ende hin geht es zum Zentrum der komponierten frühen Vokalkunst, nach Frankreich: Mit dem Rondeau „Jour à jour“ (Tag für Tag werde ich nicht aufhören zu lieben) und – nach dem samstäglichen Gloria und einem klangvollen, mehrstimmigen Amen – mit einer aus Frankreich stammenden Marienmotette als Dreingabe, die schwungvolle Eleganz mit hoher Tonkunst und tiefer Andacht verbindet. Großer Jubel, anhaltender Applaus.

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