Das Ensemble La florida Capella musizierte in der Stiftskirche römische Motetten von Alessandro Melani
TÜBINGEN. Man kennt ihn nicht. Hier nicht. Das waren alles Tübinger Uraufführungen von Werken Alessandro Melanis, die das Innsbrucker Ensemble La florida Capella am Samstagabend in der Motette musizierte. Vom Orgelpositiv aus leitete Marian Polin seine fünfköpfige Spezialistengruppe aus den Sopranistinnen Anastasia Terranova und Elena Di Marino, dazu Davide Benetti (Bass), Joachim Pedarnig an der Violone sowie David Leeuwarden mit der Theorbe.
Man rechnet den 1639 in Pistoia geborenen Alessandro Melani einer toskanisch-römischen Komponistenschule zu, die bei dem musikliebenden Papst Clemens IX. in Rom, aber auch am Tiroler Hof zu Innsbruck und beim Sonnenkönig Ludwig XIV. in Versailles sowie in Wien auch als Opernsänger – darunter der famose Kastrat, Geheimagent und Diplomat Atto Melani – und Musiker in Diensten stand. Man hielt engen Kontakt und Austausch, protegierte sich. Ein italo-europäischer Musiker-Clan.
Alessandro Melanis Karriere führte den Kapellknaben vom Dom seiner Heimatstadt zunächst nach Orvieto und Ferrara, woher er als Kapellmeister nach Pistoia zurückkehrte, um dann bis 1672 an Santa Maria Maggiore, hernach an der (Caravaggio)-Kirche San Luigi dei francesi in Rom zu amtieren und bis zur Jahrhundertwende auch viel Ruhm als Opernkomponist zu ernten. Er starb im Jahr 1703.

Das Ensemble hatte dem geistlichen Konzert das schöne Motto „Divinitas & Humanitas“ (Göttlichkeit und Menschlichkeit) gegeben und musizierte Motetten aus der Sammlung „Motetti sagri Op.1“, zunächst 1670 in Rom erschienen, im piemontesischen Asti erhalten geblieben und bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik von La florida Capella im Jahr 2021 entdeckt, neu ediert und wiederaufgeführt.
Das ist zweifellos eine große Bereicherung für die Musikwelt, denn dieser Alessandro Melani ist kein weiterer ordentlicher Handwerker der Barockmusik, sondern in seinem spezifischen Stil des „motetto romano“, in dieser geistlichen Musik (aus der in Trient konzils-verordneten kontrapunktischen Palestrina-Tradition verfeinert) ein Tonsetzer von überragender Ausdruckskraft und Brillanz.
Die blühend frommen lateinischen Texte setzt Melani eng syllabisch an der Sprache entlang in wunderbare, aus der weltlichen Madrigal-Sphäre gespeiste Melodiebögen um, die auch mal bis zu zierreichen Koloraturen virtuos werden können, auch mit Effekten wie Echos arbeiten und durchsichtig bleiben, selbst wenn die saubere Vokalpolyphonie in überraschend farbige harmonische Wendungen mündet.

Diese Musik war bei den Sängern und Instrumentalisten in allerbesten Händen, was insofern auch wörtlich zu nehmen ist, als die Sopranistinnen und der hell timbrierte Bassbariton ihre Kantilenen zuweilen zärtlich mit den Händen nachformten – was keineswegs marottenhaft wirkte, sondern dezent für das tiefe Engagement stand und die Kontur der herrlich phrasierten Bögen auf einer zusätzlichen Ebene nachzeichnete.
Wie die zwei- bis dreistimmigen Vokalpartien durch die Generalbassinstrumente von Bassgambe (Violone) und der vielsaitigen, doppelhalsigen Basslaute (Theorbe) ergänzt wurden, das mag für die Ersthörer editorisch-satztechnisch nicht immer ganz offenkundig gewesen sein. Aber es klang ganz außerordentlich exquisit. Wunderbare Musik, zu keiner Sekunde den – doch notwendig barocker Wahrnehmung der Vokalpolyphonie und der Kirchentonarten-Charakteristik entwöhnten – Ohren zu gleichförmig, zu streng, zu formal klingend.
Die Stiftskirche war feriengemäß deutlich dünner besetzt als sonst, wodurch die Überakustik die Transparenz des Satzes je nach Sitzplatz etwas stärker verwischt und in den Hall entrückt haben mag. Aber die klaren und zu kraftvollem Aufblühen fähigen Stimmen, besonders der ersten Sopranistin, sorgten für einen seltenen Hochgenuss.
Die erbetene Stille wurde dankenswerterweise angemessen eingehalten, bevor die Zuhörer zu einem langen und von höchster Anerkennung getragenen Applaus ansetzen konnten.
