Die Reutlinger Tonne brachte mitsamt ihrem inklusiven Ensemble „Die Blechtrommel“ von Günter Grass auf die Bühne
REUTLINGEN. Ein kühner Plan: „Die Blechtrommel“ auf die Bühne bringen. Weltliteratur und aufsehenerregendes Debüt des späteren Nobelpreisträgers Günter Grass, dazu der oscarprämierte Schlöndorff-Film von Ende der Siebziger. Die Tonne hat’s gewagt. Und hat – gleich vorweg – gewonnen. Am Donnerstagabend war Premiere im Großen Saal, der ganz gut, aber nicht voll besetzt war.
Klar, dass so etwas kein normales Theaterstück werden kann, erst recht nicht wenn die Tonne ihrem Anspruch, einem „Alleinstellungsmerkmal“, treu bleibt, ihr inklusives Ensemble einzubringen. Schon die Bearbeitung von Regisseur Enrico Urbanek und seinem Dramaturgen Michel op den Platz war gelungen: Da musste der Stoff, da musste diese überwältigende Sprache gestrafft, gestrichen, ergänzt, verbunden werden zu einem stimmigen Plot, der am Ende nicht einmal volle zwei Stunden dauerte.
Das Bühnenbild von Sibylle Schulze war so einfach wie überzeugend: eine angeschrägte rot-weiß gezackte Blechtrommel, aus der mittig eine Treppe herausragte und hinabführte in jenen Keller, in den sich der Dreijährige stürzte, um fortan nicht mehr zu wachsen und Glas zersingend als Gnom durch düstere Zeiten zu wandeln. Links drei Grabkreuze für die wichtigsten Toten der Geschichte: Oskars Mama Agnes und seine beiden Väter, der Pole Jan Bronski und der rheinische Kolonialwarenhändler Alfred Matzerath, den es in das Danzig der Nazizeit verschlagen hatte, wo in der Polnischen Post und an der Westerplatte dann der Zweite Weltkrieg begann. Rechts ein Harmonium, auf dem auch die Leitmelodie des Stücks erklingt, Händels „Largo“.
Das spielt David Liske, der als „unzuverlässiger Erzähler“ Oskar ein ganz großartiges Solo abliefert und die ganze Inszenierung trägt, auch wenn das kein eigentliches Schauspiel ist, keine klassisch-szenische, sondern vor allem eine szenisch-gestisch erweiterte Rezitation – aber wie! Fantastisch, lebendig, spannend, große Sprachkunst, Vortragskunst. Höhepunkt ist seine am Harmonium in wütendem Crescendo begleitete Litanei: „Es war einmal…“
Unter den vielen Rollen des inklusiven Ensembles ragten Roswitha John als Meister Bebra vom Liliputaner-Fronttheater, Santiago Österle als jüdischer Spielwearenhändler Sigismund Markus und Bahattin Güngör als Nazi-Redner Löbsack heraus und ließen sich am Ende gemeinsam mit gewiss zwanzig Beteiligten vom Publikum feiern.