Bühne

ITZ – Im woken Office

Das Tübinger Zimmertheater (ITZ) eröffnete die Saison im „Löwen“ mit der Büro-Farce „Im Office“

TÜBINGEN. Mit seiner neuen Hausautorin Elisabeth Pape bleibt das „Institut für theatrale Zukunftsforschung“ ganz bei sich: Gegenwartskritik statt Klassiker – mit einem leichten Schlag vom woke Diversen ins klassisch Linke. Im ausverkauften „Löwen“-Saal hatte am Samstag das Büro-Stück „Im Office“ unter der Regie von Isabella Sedlack seine Premiere.

Das Bühnenbild von Raissa Kankelfitz ist klassisch schlicht und witzig: Ein paar senkrechte Elemente, mittig als Projektionsfläche im Phone-Format; vier ganz besondere Büroplätze davor, alle mit Laptop, versteht sich: einer als Laufband-Stehpult, interessanterweise mit einem alten Schnurtelefon, dann einer mit federndem Sitzballon. klassischer Chefsessel mit Liegefunktion und Fußruhe-Teil, dahinter darf auf so etwas wie einem kleinen Trampolin im Arbeitstakt gehüpft werden. Rechts eine Kloschüssel.

Gearbeitet wird zwischendurch wohl auch mal. Was, weiß man nicht. Ist aber auch nicht so wichtig. Das Hauptaugenmerk aller Arbeitenden in diesen superflachen Hierarchien gilt einer ausgeglichenen Work-Life-Balance, der Move & Relax Zone und Matcha Latte für alle, den trendigsten Köstlichkeiten (natürlich nur direkt, von dort beschafft, nicht einfach vom exotischen Fachgeschäft um die Ecke). Es gilt den wirksamsten Super-Foods und der genauen Beobachtung der eigenen Befindlichkeit vom Blutdruck bis zum Spiel und Spiegel der Hormone, natürlich vor allem der psychoaktiven Neurotransmitter unter besonderer Berücksichtigung von Stress, Aggression und Wellness.

Natürlich sind hippe Flugreiseziele wichtig, wenn mal wieder gegen denkbaren Burnout dringend Urlaub angesagt ist, und – noch viel entscheidender – die unermüdliche Suche nach dem Sinn der Arbeit, zur Rettung, mindestens moralischen Verbesserung der Welt, des Planeten. Heiße Tipps für durchgeknallte Duddels und Daddels, also wichtigtuerische Scharlatan*innen, die irgendwas therapieren zu können behaupten, gehen natürlich auch ratzfatz büro-viral.

Der, die oder das Chef heißt „Dogge“, tritt aber nicht auf. Raissa Kankelfitz hat Rudi, Chelsea und Pey unter grellfarbige Perücken und in knallbunte Kostüme gesteckt: Johanna Engel, Cyril Hilfiker, Julian Lehr und Jel Woschni – also noch wer: Man kriegt das ja bei dem Geschlechter-Fluidum und der Vollverkleidung nicht recht auseinandergehalten, aber ausgerechnet die/der/das neue Kolleg*in Isi sieht aus wie ein klassischer Mann und ist auch büromäßig in fast klassisches Schwarz gekleidet. Krawatte fehlt, okay. Geht nun wirklich gar nicht mehr.

Im Gegensatz zu den verwöhnten und wohlstands-verwahrlosten Bengels und Bengel*innen, Meedls und Meedl*innen (Pronomen: they) ist der, die oder das Neue eigens wegen ihrer oder seiner Proll-Biografie ins trendige Team geholt worden: Armut, asoziale Herkunft, versoffene, drogensüchtige oder alleinerziehende Eltern, ständig Trash-TV am laufen, schlechte Ernährung und mühsamster Bildungsaufstieg. Aber Uni, doch Uni! Berufserfahrung? Keine. Nicht nötig. Gefragt sind andere Skills in diesem hippen Start-up. Ein/e Thermoskannentyp*in isses, was beim Shoppen und Genießen immer noch nach dem Billigsten statt nach dem Besten oder Feinsten sucht, das nur die echten, die absoluten Kenner kennen.

Seltsam nur, dass das Isi sich zwischendurch ständig ins Badezimmer zurückzieht und ewig auf der Schüssel sitzt.

Was es da macht? Es wanzt sich notorisch ran an die Reichen dieser Republik, die echten, von Forbes nach ihren Milliardenvermögen sortiert, die Kühne, Klatten, Lidl-Schwarz, Aldi-Erben, Porsche, später auch noch Elon Musk und Show und Sport international: als Sponsoren und Mäzene, denkbare Adoptiveltern oder einfach gnadenreiche Wohltäter. Auch eine freundliche Erpressung könnte vielleicht was bringen.

Ein bisschen mulmig kann einem da schon werden bei dieser übergriffig-denunziatorischen Böhmermann-Masche, echt. Später stellt sich Isi auch als investigative/r/s Journalist*in mit klassenkämpferischer Stoßrichtung heraus. Aber es wird begafft und bedrängt, befragt und bestaunt wie ein leibhaftiger Affe aus den Resten des afrikanischen Regenwalds. Das ließe sich sozialer Rassismus mit moral-strotzender Gutmenschen-Attitüde nennen.

Das Stück giert zwar nicht nach Gags und Pointen, könnte aber über weite Strecken als reine Satire durchgehen; weniger als Komödie denn als Farce: Der woke und diverse Zeitgeist (viel mit Pink, kein oder kaum Regenbogen!) nimmt sich derartig überdreht auf den Arm und überspitzt auf die Schippe, dass man sich irgendwann fragt, ob nicht auch das unvermeidliche Gendern nur noch selbstironisch gebraucht wird. Es lässt sich auch nachdenken darüber, ob die ätzende Kritik an dieser schönen neuen Arbeitswelt wirklich noch was mit dem völlig veralteten Begriff einer sozialen Gerechtigkeit zu schaffen haben kann.

Auch wenn die Beamer-Technik mal versagte und zur kurzen Pause zwang: Diese Ebene, auch das Licht, ist beim ITZ immer vom Feinsten. In der Musik klang mal Bachs d-Moll-Cembalokonzert an. Auch da viel Ehrgeiz, eher mit Dezenz, jedenfalls nicht ein Soundtrack als einlullender Dauerschall für eine bestimmte Atmo. Natürlich sind die Typen Chargen, was ein differenzierteres Lob fürs Schauspielern eher schwierig macht.

Unterhaltsam, stellenweise köstlich aber war der Abend auf jeden Fall. Langer Beifall, Vorhang über Vorhang, klar. Das ITZ ist weiter ganz bei sich. Und sein Publikum bei ihm, mit ihm.

Fotos: Alexander Gonschior

Foto: Manfred Grohe

In eigener literarischer Sache:

„Am 12. Februar 1972, eine halbe Stunde vor Mitternacht, verließ der Intendant Salvatore Poddine seine Wohnung im Zimmertheater in der Bursagasse 16, um, wie er seiner Frau sagte, ‚noch ein paar Schritte zu gehen‘. Er ging in das Kellergewölbe der Bursagasse 2, seinem zweiten Theaterraum, in dem er zuletzt in Handkes ‚Das Mündel will Vormund sein‘ auf der Bühne gestanden hatte: Dort erhängte er sich.“

Der große Georges Tabori sprang zeitweise am Zimmertheater ein. Mit Salvatore Poddine, dem gelerntem Tänzer und Solisten in der Stuttgarter „Ballettwunder“-Truppe von John Cranko, verlor – den Nachrufen und Presseberichten zufolge – „das baden-württembergische Theaterleben einen seiner originellsten und phantasievollsten Köpfe“. Er hatte es verstanden, aus seinem Haus in der Bursagasse mit minimalem finanziellem Aufwand eines der lebendigsten und extravagantesten deutschen Kleintheater zu machen, heißt es. Die Poddine-Jahre (mit seinen angeblich gefeierten drei Inszenierungen) gelten seither als die größte Zeit des Tübinger Zimmertheaters.

Salvatore Poddines Tod sagt aber ganz offenkundig noch etwas Anderes, und nicht nur Privates, über was zu schweigen wäre. Waren es die Kritiker und ihre Kritiken? Verletzungen und Wunden, durch Gegner, Widerstände, Feinde? War Salvatore Poddine gar so etwas wie ein schwuler – heute vernebelnd und übergriffig vereinnahmend: „queerer“ – Märtyrer? Wikipedia widmet Salvatore Poddine keinen eigenen Artikel mehr. (Die Zitate stammen aus dem „Zimmertheater“-Artikel.)

Wer immer Erinnerungen oder Zeugnisse zu Salvatore Poddine und seiner Zimmertheater-Zeit hat, möge sich melden bei:

martinbernklau@web.de

Click to comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

To Top