Musik

Musica nova – Im Strom des Klangs

Die spanische Pianistin Magdalena Cerezo Falces beschloss in den Reutlinger Wandel-Hallen die Saison der Musica nova

REUTLINGEN. Das Abschlusskonzert der Musica-nova-Saison 2023/24 schloss den Kreis zum Auftaktkonzert mit der Besetzung „Klavier plus Elektronik“. Solistin im Kunstmuseum Reutlingen | Galerie – eingerahmt durch die Plastiken „after Millet“ von Simone Eisele – war die Pianistin Magdalena Cerezo Falces, am Mischpult assistiert von Fernando Munizaga.

Das Publikum (darunter der Komponist Benjamin Scheuer) war relativ zahlreich und ganz Ohr für Magdalena Cerezo Falces, die der künstlerische Leiter der Reihe, Michael Hagemann, in seiner Begrüßung als „Superstar des zeitgenössischen Klavierspiels“ vorstellte. Die aus Spanien stammende Pianistin hat Abschlüsse in Kammermusik, Neue Musik und das Konzertexamen, sie widmet sich dem Erkunden neuer Möglichkeiten des Klaviers und wurde dafür vielfach ausgezeichnet.

Mit dem Titel „particle_dynamics“ verwies sie auf den Bewegungsaspekt der aufgeführten Werke; die „Partikel“ konnte man als Klang-Teilchen verstehen, die Magdalena Cerezo Falces fortwährend vorantrieb. Als gemeinsamer Nenner erwies sich das Anliegen der Komponisten, traditionelle Elemente des Klavierspiels zu verfremden und zu zerlegen und aus diesem Material Neues zu schaffen.

Die Virtuosin vor einem Foto-Serial mit Wladimir Horowitz. Fotos: Susanne Eckstein

Eine intensive Stunde lang ohne Pause für Spielerin und Zuhörer, erlebte man neue Klaviermusik auf höchstem Niveau als ausdrucksstarkes und vielgestaltiges Kontinuum in Verbindung mit einem elektronischen Pendant. Zwischendurch konnte man sich fragen, ob Pausen und Gesten womöglich wie bei Kagel zur Komposition gehörten. Wo endete das eine, wo begann das nächste Stück? Was war welchem Titel zuzuordnen?

Die „Latitudes“ von Sara Glojnarić, die den Auftakt bildeten, zeichnet eine persönliche Handschrift aus: rasende Hochgeschwindigkeits-Läufe auf gedämpften Saiten, kombiniert mit Bild-Einblendungen auf der Leinwand hinterm Flügel; mal scheinen diese der Pianistin Anweisungen (links, rechts, nach oben etc.) zu erteilen, mal flirren wie in alten Film-Abspannen Buchstaben übereinander, am Ende scheint der Flügel gar elektronische Orgel-Akkorde hervorzubringen.

An Faschingskonzerte erinnert Jennifer Walshes „Becher“: Sie montiert Partikel aus bekannten Werken zu einer absurden, obsessiv gehämmerten Collage, die den Klassikhörern ihre Vertrautheit mit Melodien und Harmonien bewusst macht. Wie hören das Menschen, die diese Musik nicht kennen?

Das Zentrum des Abends bildeten Stücke von Benjamin Scheuer: die Nummer 22 aus seinen „Zwischenspielen“ (als Uraufführung) sowie Auszüge aus der „Kiste“ (womit das Klavier gemeint ist): „Rückwärts“, „Tasten“, „Interludium: Pause“, „…gepfiffen“, „Pulse“ und „Entsorgung“. Hier tritt das Klavier in Dialog mit einem unsichtbaren elektronischen Partner; dazu bedient die Pianistin nebenher ein Midi-Keyboard, das klavierfremde Klänge auslöst – Summen, Röhren, Klackern, Flöten. Als eine Art Theater-Einlage benutzt sie Spielzeuginstrumente und wirft sie hinter sich. Hier wäre der Ort für erhellende Worte des anwesenden Komponisten gewesen; doch die blieben diesmal aus.

Ebenfalls mit einem virtuellen Duopartner arbeitet Johannes Kreidlers „Studie“ für Klavier, Audio- und Video-Zuspielung. Sie erinnert in ihrem abrupten, mechanischen Duktus an die alten player pianos: Da sitzt die Pianistin quasi unbewegt vor den Tasten, während aus dem Flügelgehäuse präparierte Saitenklänge hämmern und die Leinwand Vielfach-Bilder zeigt. Am Ende schwingt die Frau am Klavier gar den Hammer – wozu? Um die Tradition zu zerschlagen?

Den Schluss machte Enno Poppes „Thema mit 830 Variationen“ als irrlichterndes Spiel mit Strukturen und Repetitionen in präzis veränderten Metren, umgesetzt von den zielsicher zupackenden Fingern von Magdalena Cerezo Falces.

Großer Schlussapplaus für Magdalena Cerezo Falces. Foto: Susanne Eckstein

Sie ist wirklich ein Phänomen. Zu dem für Neue-Musik-Interpreten ohnehin nötigen Können kommt bei ihr eine unbändige musikalische Vitalität, die dafür sorgte, dass das Publikum bestens unterhalten wurde – stets unter Hochspannung, aber auch mit einem Schuss Humor.

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