Musik

Zehntscheuer – Klangrausch am Klavier

Der armenisch-französische Pianist Jean-Paul Gasparian war mit großer Romantik zu Gast in der Rottenburger Zehntscheuer

ROTTENBURG. Der Klavierabend im Saal der Rottenburger Zehntscheuer hatte es in sich: Jean-Paul Gasparian spielte zwei große Blöcke aus Werken von Peter I. Tschaikowski und Franz Liszt. Es ist nicht selbstverständlich, sämtliche zwölf Monate von Tschaikowskis „Jahreszeiten“ am Stück und danach eine Stunde lang vier Liszt’sche Opernparaphrasen vorzuführen – dazu braucht es sehr viel Konzentration und Durchhaltevermögen.

Doch Jean-Paul Gasparian mutet sich diese Mammutaufgabe zu. Geboren in Paris als Sohn von Musikereltern mit armenischen Wurzeln, absolvierte er ab der frühen Aufnahme ins Conservatoire eine erfolgreiche Laufbahn als Pianist und wurde vielfach ausgezeichnet. Er lebt in Paris; Philipp Amelung, der künstlerische Leiter der Konzertreihe, hat ihn bei einem Auftritt in Jerewan/Eriwan erlebt und spontan engagiert. Statt des im Vorjahr geplanten bunten Programms mit Werken (unter anderem) seines Vaters Gérard Gasparian konzentriert sich Gasparian nun auf die zwei genannten Romantiker.

Kraft, Konzentration und Hingabe: Jean-Paul Gasparian. Foto: Susanne Eckstein

Bei Tschaikowskis „Jahreszeiten“ handelt es sich nicht um einen Zyklus im engeren Sinn, sondern um zwölf Charakterstücke, komponiert für die monatlichen Ausgaben einer Zeitschrift des Jahres 1876 und begleitet von kurzen Gedichten; sie sind auch für Liebhaber spielbar.

Jean-Paul Gasparian nähert sich dem Januar-Stück („Am Kamin“) sowie dem Rottenburger Steinway und seinem unbekannten Publikum behutsam, als würde er präludieren. Er entwickelt ein Lied ohne Worte, gestaltet die Melodie sanglich und klangschön und verströmt mit den begleitenden Arpeggien eine warme Atmosphäre. Auch den weiteren Stücken wird er mit sensiblem Anschlag, sicherer Technik und romantischem Gestus vollauf gerecht, ob im zarten Frühlingsrauschen, in sternenhellen Juni-Nächten, den eiligen Rhythmen in „Erntelied“ und „Jagd“ oder der verhangenen Melancholie und den träumerisch herausgehobenen Echos des Herbstes. Die dichte, beseelte Stimmung wird nur leicht getrübt durch ein Störgeräusch beim Lösen des Flügelpedals.

Der zweite Teil des Programms ist ein pianistischer Opernabend: Franz Liszt hat aus berühmten Opern seiner Zeit Tondichtungen eigenen Rechts in Form von Paraphrasen gestaltet. Seine legendäre raumgreifende Virtuosität und den Klang des Konzertflügels präsentiert er in einem vielstimmigem Reichtum aus brillierender Ornamentik, bombastischen Bässen und klangvoller Melodik. Die Kunst der ihm nachfolgenden Pianisten besteht darin, die teilweise dreihändig gesetzte Partitur nicht nur technisch bruchlos zu bewältigen, sondern sie darüber hinaus musikalisch zu gestalten.

Und genau das gelingt Jean-Paul Gasparian in exzellenter Weise und komplett auswendig. Er fantasiert fast eine Stunde lang mit Franz Liszt über Szenen und Arien aus Verdis „Aida“, „Rigoletto“ und „Il Trovatore“ sowie aus Bellinis „Norma“ und lässt dabei seine erzählerische Fantasie und sein musikalisches Gestaltungsvermögen spielen. Seine sichere, präzise Technik erlaubt ihm, den Klang in unterschiedlichen Färbungen zu zelebrieren, den Steinway singen zu lassen und die üppige Ornamentik ins strömende Ganze einzuordnen.

Dabei hält er sich mit gängigen Virtuosen-Effekten und Dramatisierungen weitgehend zurück, er stellt sein immenses Können wie selbstverständlich in den Dienst des Werkes, das er organisch und zielbewusst entwickelt und dabei großen Orchesterklang entfaltet, ohne das Instrument zu überfordern.

Jubelnder Beifall für Jean-Paul Gasparian – und drei Zugaben zum Dank. Fotos: Susanne Eckstein

Im letzten Stück des offiziellen Programms, Liszts früher „Norma“-Paraphrase, fragt man sich angesichts des unablässigen Fortissimo-Donners, ob womöglich die Konzentration des Spielers nachlässt. Doch weit gefehlt, Gasparian befindet sich auch nach zwei Stunden in Bestform. Das Stück selbst betont den heroischen Gestus in martialischer Weise, er setzt ihn in angemessen kraftvoll um – und bedankt sich für den immer wieder neu aufflammenden Jubel des Publikums danach mit sage und schreibe drei Zugaben, die das schweißtreibende Virtuosenprogramm nahtlos in glühendem, differenzierten Klangrausch fortsetzen: Liszts Paraphrasen nach Wagners „Tannhäuser“ und „Tristan“ sowie Verdis „Don Carlos“. Eine Meisterleistung.

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