Ein Wunschkonzert der Württembergischen Philharmonie „Sonntags um elf“ in der Reutlinger Stadthalle
REUTLINGEN. Beliebte Glanznummern bot das Orchester am Sonntagvormittag im gut und ausgesprochen bunt (mit etlichen Kindern) besetzten großen Saal der Stadthalle als Ergebnis einer Zuhörerbefragung vom vorigen Herbst. Welchen Wert die WPR diesem Wunschkonzert beimaß, erkannte man schon daran, dass Chefdirigentin Ariane Matiakh selbst am Pult stand und Intendant Cornelius Grube persönlich die Moderation übernahm – als Kenner der Materie genauso versiert wie als launiger Conférencier.
Gemessen an der Zahl der Besucher von (geschätzt) um die 1.000 pro Konzert erscheint die Zahl der „Musikwähler“ mit etwa 150 relativ klein. Waren das nur die Internet-affinen mit konventionellem Musikgeschmack? Oder goutiert – im Umkehrschluss – der überwiegende Teil der Konzertbesucher gern das Angebot der WPR mit reichlich Neuem und neu zu entdeckendem Älteren?
Das Ergebnis der Abstimmung fiel unerwartet aus: Beliebtes von Mozart und Beethoven landete überraschend „unterhalb der Fünfprozenthürde“, wie Grube berichtete; auf den Plätzen 1 und 2 fanden sich Griegs „Morgenstimmung“ und Bernsteins „West Side Story“, Platz 3 teilen sich mit gleicher Punktzahl Elgars Marsch Nr. 1 aus „Pomp and Circumstance“ und Brahms‘ Ungarischer Tanz Nr. 5.

Diese vier Lieblingsstücke standen nun auf dem Programm des philharmonischen Wunschkonzerts unter dem Motto „Konzert à la carte“, angereichert um zwei weitere Werke, die die Fünfprozentmarke überschritten hatten.
Vermutlich bieten die vielfach wiederholten Klassik-Hits „Morgenstimmung“ und „Ungarischer Tanz Nr. 5“ wenig Anreize fürs Orchester. Umso spannungsreicher gerieten die Ouvertüre zu „West Side Story“ als Matinee-Auftakt und Tschaikowskis Konzertouvertüre „Romeo und Julia“ danach: befeuert durch Ariane Matiakhs präzise sprechendes Dirigat und das Drumset bei Bernsteins kraftvollen Rhythmen, farbig ausgefeilt in Tschaikowskis hoch-emotionaler Tondichtung, die eine überaus sorgsame und liebevolle Ausdeutung erfuhr. Hier konnte man bislang überhörte Nebenstimmen neu entdecken; das Orchester formulierte das flinke Florettfechten genauso spielfreudig und klangvoll wie den romantisch-kantablen Gesang.
Ein bläserisches Juwel folgte mit dem „Adagio“ aus Dvořáks Sinfonie Nr. 9 („Aus der neuen Welt“). Da ließ nicht nur die tiefe Blechbläser-Harmonie aufhorchen, sondern vor allem das Englischhorn-Solo von Marius Schifferdecker, ein anrührendes Wunder in weiten Linien.
Danach erst war der Wahlsieger „Morgenstimmung“ an der Reihe, gewohnt klangschön und schwärmerisch vorgeführt und für manche eine Erinnerung an die orchestrale Begleitung der frei laufenden Araberherde bei den „Marbach Classics“.

Den glänzenden Schlusspunkt bildete Elgars Marsch Nr. 1 aus „Pomp and Circumstance“, bekannt durch die BBC Proms in London, wo das Publikum mitsingt und Fähnchen schwenkt. Letzteres war hier nicht der Fall, schon wegen des patriotischen englischen Textes, doch im Publikum wippten Hände und Füße, und manche haben die hymnische Melodie wohl heimlich mitgesummt.
Die Hochstimmung im Saal wurde nochmals gesteigert durch die Zugabe, ein Lieblingsstück der Chefdirigentin: den furiosen Aufmarsch der Toreros aus Bizets „Carmen“. Der anschließende Jubel ging über in stehende Ovationen.
