Ariane Matiakh dirigierte eine Matinee mit den Württembergischen Philharmonikern in der Reutlinger Stadthalle
REUTLINGEN. Das Format ist noch jung, aber schon gelingt es der Württembergischen Philharmonie mit „sonntags um elf“, die Ränge der Reutlinger Stadthalle zu füllen. Sogar der Oberbürgermeister gab sich die Ehre. Und für die übrigen Musikfreunde ist jedes Dirigat von Ariane Matiakh längst ein Must hear. Dem Thema Wasser galt die Matinee. Programm-Musik im weiteren Sinne, von Mendelssohn, Wagner, Dvořák, Tschaikowsky und Smetana.
„Meeresstille und glückliche Fahrt“ opus 27 ist eine Konzertouvertüre über zwei (!) Gedichte von Goethe, die Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 bis 1847), als 22-jähriger schrieb (im Doppel, wie von Beethoven vorgemacht), aber erst viel später zusammen mit den Hebriden und dem Sommernachtstraum veröffentlichte. Dem verträumten Idyll, wunderbar geduldig genommen von Ariane Mathiak, folgt ein springlebendiger zweiter Teil, der als frischer Wind und Freude auf glückliche Wiederkunft im Hafen, aber auch einfach als Ausdruck von Reiselust gedeutet werden darf.
Die formale Perfektion schon in frühen Jahren – da steht jede Note am richtigen Platz – hat man dem Juden Mendelssohn gehässig als seelenlosen Klassizismus angekreidet. Nietzsche hingegen hätte diesem „Genie der Dankbarkeit“ das Gegenbild zur romantischen „Trunkenboldigkeit des Gefühls“ bescheinigt. Mit seinem Richard Wagner (1813 bis 1883), diesem in ein paar Schriften so widerwärtigen Judenhasser und genialen Musikdramatiker, hatte er da bis zum Bruch der Freundschaft und zum Ende der Bewunderung seine eigene liebe Müh‘.
Die Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“, so klärte Moderatorin Constanze Dada auf, war bei Wagner unterfüttert mit der Erfahrung einer sturmgepeitschen Schiffsreise. Dieses romantische Frühwerk des 30-Jährigen gilt gemeinhin als Durchbruch Wagners zum eigenen Opern-Stil, der mit Leitmotiven und „ewiger Melodie“ schon ganz gut charakterisiert ist. Nicht zu schwelgerisch ließ Ariane Matiakh musizieren. Vielleicht des dramatischen Kontrastes wegen hob sich auch mal eher Nebensächliches hervor, gegen Ende gab es mal kleine Abstriche bei der feinen Abstimmung.
Auch die Sinfonische Dichtung „Der Wassermann“ von Antonin Dvořák (1841 bis 1904) weist extreme Kontraste auf. Das liegt auch an der zugrunde liegenden Legende, in der dieser Wassermann sich eine schöne junge Wäscherin raubt und ein Kind mit ihr zeugt, das sie als Pfand hinterlässt, als Heimweh sie zur eigenen Mutter treibt. Nur weil sich ihre Rückkehr ein wenig verzögert, bringt das wüste Fabelwesen das gemeinsame Kind einfach um.
Schöne Soli von Flöten und Englischhorn zierten den erzählenden Ton besonders. Die scharfen Dissonanzen in Dvořáks später Harmonik ließ die Dirigentin geradezu genussvoll ausspielen. Ein paar Stellen waren schon sehr laut für empfindsamere Gemüter, aber spätestens der traurig leise Schluss besänftigte sensible Ohren wieder vollkommen.
Die Barcarole für den Monat Juni aus Pjotr Tschaikowskys für Klavier gesetzten „Jahreszeiten“ – im Arrangement von David Matthews mit der Celesta (einem Glockenspiel mit Tastatur) und hübschen Duetten zwischen Solovioline und -Cello oder Oboe und Klarinette – hätte vielleicht noch etwas mehr Streicherschmelz vertragen können. Aber dieser Tanz, dem Wiegen eines Bootes, einer Gondel nachempfunden, war wie von Tschaikowsky erbeten: semplice, ma espressivo.
„Die Moldau – Vitava“ ist das vielleicht schönste Stück klangmalender Programm-Musik und Teil des Zyklus „Má vlast – Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana (1824 bis 1884), der schon vollständig ertaubt war, als er die Sinfonischen Dichtungen schrieb. Sympathischer ist Vaterlandsliebe allenfalls noch mit der thematisch eng verwandten Hatikwa (Hoffnung), der israelischen Nationalhymne, oder – ja!, trotz allen Schindluders und Missbrauchs – mit Haydns Kaiser-Melodie in Klang gesetzt worden. Viel Kontur, ihre besondere Transparenz und die gewohnte Präzision, aber natürlich alle Emotion, das ganze Gefühl brachte Ariane Matiakh in diese Naturbilder. Schon sehr flott plätscherten die beiden Quellen in den Flöten, dann der Klarinette und den tiefe Streichern vor dem unsterblich schönen Thema, das die Ersten Geigen vorstellen.
Mondschein und Nymphenreigen klangen ganz verzaubert und bezaubernd. Bei den Stromschnellen durfte die Piccoloflöte mit schneidender Schärfe die Gefahr malen, in majestätischer Ruhe breitete sich die Moldau dann von Prags Vyšehrad-Burgwall an zur ganzen sanften Breite aus. Musik sei Sprache, auch als Ausdruck einer Nationalkultur, hatte Ariane Matiakh im Gespräch mit der Moderatorin gesagt.
Die Dirigentin und das Orchester wurden vom Publikum mit langem, rauschendem Applaus bedankt.
