Musik

WPR-Sinfoniekonzert: Jupiter donnert und singt

In der Reutlinger Stadthalle dirigiert Ariana Matiakh Mozart und Max Bruchs Doppelkonzert mit Stephen Waarts und Emma Wernig

REUTLINGEN. Die Generalprobe fand am Vorabend bei der Mozart-Gesellschaft im Dortmunder Konzerthaus statt, zu deren Stipendiaten die jungen Solisten zählen. Die Stadthalle war fast ausverkauft, die Prominenz (bis hinauf zum Regierungspräsidenten und zwei Alt-OB’s) vollzählig angetreten zum Neujahrskonzert der Württembergischen Philharmonie am Montagabend. Trotz dreier weiterer Komponisten war dieses Programm ganz mozartisch geprägt, das Chefdirigentin Ariane Matiakh einstudiert hatte – bis zur Jupiter-Sinfonie als Krönung.

Noch vor der russischen Oktoberrevolution hatte Sergej Prokofjev seine „Symphonie classique“ in D-Dur opus 25 geschrieben, seine erste, die vielleicht auch dazu gedacht war, dem Missfallen des Sankt Petersburger Publikums für seine modernistische Linie vorzubeugen. Vor allem war das Stück von einer kompakten Viertelstunde Dauer auch eine vergnügt-parodistische Verbeugung vor seinen klassischen Vorbildern Haydn und Mozart, auch vor Tschaikowsky. Wunderbar, wie die Württembergischen Philharmoniker unter Ariane Matiakhs souverän gelassener Hand der konzentrierten Klarheit Genüge taten, den Grundton des Humors, eines tänzelnden Schwungs trafen und bis in den Jagd-Galopp des Finales und das höchste Tempo absolut präzise spielten.

Darf den Jubel genießen: Ariane Matiakh beim Neujahrskonzert der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. Foto: Martin Bernklau

Ein durchgängig Konservativer war Max Bruch (1838 bis 1920), von dem sich – vielleicht deshalb – eigentlich nur das schwelgend schöne erste Violinkonzert wirklich gehalten hat. Aber das in der romantischen Sprache so verwandte Doppelkonzert in e-Moll opus 88 für Violine (ursprünglich Klarinette) und Viola, im Jahr 1911 (!) uraufgeführt, als Schönberg seine Harmonielehre veröffentlichte, der Klassik Mozarts und dem Ton Mendelssohns verpflichtet, war gewiss eine Wiederentdeckung wert.

Die Solisten sind beide zunächst in den USA aufgewachsen und ausgebildet worden, der Geiger Stephen Waarts mit holländischen, die Bratschistin Emma Wernig mit österreichischen Wurzeln. Wunderbar aufeinander eingespielt, beide mit weichem, ganz sanftem Ton und großzügigem Vibrato aus dem Handgelenk, zeigten sie trotzdem eine ganz gegensätzlichen Spielstil. Waarts stand zwar in stoischer Ruhe, musizierte aber ganz expressiv poetisch und romantisch (bis hin zu gelegentlichem leichten Schleifen, das eigentlich verpönt ist).

Emma Wernig, äußerlich bewegter, spielte scheinbar eine Spur sachlicher, mehr nach innen gewandt. Vielleicht war ihr warmer Ton nicht ganz so „groß“ wie der ihres Partners. Von perfekter Präzision waren beide, in vollem Einvernehmen mit der geschmackssicheren Agogik, in der sich das Orchester von Ariane Matiakh führen ließ. Nach stürmischem Beifall eine hinreißende Zugabe: das erste der drei „Madrigale“ von Bohuslav Martinú für diese aparte Duo-Besetzung.

Mit seinem klassizistischen Stil erweiterter Tonalität, aber auch mit seinem Humor hätte Jacques Ibert (1890 bis 1962) bestens zu seinen französischen Zeitgenossen der „Groupe des Six“ gepasst. Iberts „Hommage à Mozart“ kommt ganz ohne Zitate oder Anspielungen aus, atmet aber feinstrukturiert vollkommenen mozartischen Geist, nicht zuletzt in der verspielten Verwendung der Rondoform mit ihren Refrain-Variationen und den freien Couplets. Auch mit der erstaunlichen Beherrschung kontrapunktischer Satztechniken ist dieses konzentrierte Juwel des Verehrten würdig, der ja gerade im Spätwerk dem Fugenwesen seine eigenen klassischen Glanzlichter verlieh – in den Quartetten, Ouvertüren und nicht zuletzt in der Jupiter-Sinfonie.

In strahlend triumphierendem C-Dur hat Mozart seine letzte Sinfonie KV 551 gesetzt und vor allem im unvergleichlichen Finale alles aufgeboten, was ihm zu Gebote stand: schlicht alles. Vor allem die Kontraste – das melodisch zarte und sanfte Atemholen vor donnernden und jagenden Steigerungen, thematisch-motivischen Engführungen, Fugati und in leichthändig perfekten Fugendurchführungen, das arbeitete Ariane Matiakh ins beispielhafter Durchsichtigkeit heraus mit ihrem hoch aufmerksamen, willigen, bereitwillig formbaren und spürbar, hörbar begeistert musizierenden Orchester.

Der Beiname ist ja nicht ganz abwegig wegen des donnernden und blitzenden Göttervaters Jupiter. Das kraftvoll Männliche liegt der Dirigentin nicht minder als eine sensibel singende Zartheit, die als eher weiblich gelten mag. Die Wechsel sind genau, in keiner Stimme außer bei den Tutti je hereinplatzend, und sie schaffen eine klare Architektur. Es gibt nichts Diffuses. Im jagenden Schwung des Finales mögen diese Kontraste so ausgeprägt gewesen sein, dass das zwar die Struktur strahlend offenlegte, doch den durchgängigen Zug, diesen unnachahmlichen Drive, sogar zuweilen ein wenig stocken machte. Aber das ist auch Geschmackssache.

Ganz zurecht beklatschte Ariane Matiakh in den frenetischen Applaus der Zuhörer hinein ihre Instrumentengruppen einzeln, sogar den Mann an den Pauken für seine feine Dosierung des Donners. Das Publikum bekam als Dank auch etwas durchaus Mozartisches: das zierliche Menuett von Luigi Boccherini in Langfassung.

Zum nächsten Sinfoniekonzert am 29. Januar kommt Roberto Paternostro nach Reutlingen zurück, der die Württembergischen Philharmoniker bis zum Jahr 2000 leitete. Man darf das ungeschützt wagen, und das Urteil verfestigt sich mit jedem Konzert: Seit seiner Zeit hat das Orchester nicht mehr die Klasse und das Charisma gehabt wie unter Ariane Matiakh. Sie ist ein Glücksgriff für die Kultur der Stadt.

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