Musik

musica nova – elitär und erlesen

Das Klavierduo Jost-Costa machte das Konzert für György Kurtág im Reutlinger Kunstmuseum zum Ereignis

REUTLINGEN. Es wurde tatsächlich ein Gesamtkunstwerk zu vier Händen. Inmitten der Konkreten Kunst in der dritten Etage der Reutlinger Wandel-Hallen trat am Freitagabend das französisch-portugiesische Klavierduo Jost-Costa – Yseult Jost und Domingos Costa – mit seiner Hommage für den großen ungarischen Komponisten György Kurtág unter dem Titel „alla ungherese! from budapest with love to the world“ auf – ein Erlebnis, ein Ereignis.

Schon das Publikum war klein, aber ungemein fein: die Komponisten Frederik Zeller, Manuel Durão mit ihren Uraufführungen und Michael Hagemann waren zugegen. Letzterer auch als künstlerischer Leiter der Reihe „musica nova“ und als Teil des deutsch-japanischen Klavierduos mit Shoko Hayashizaki. Andreas Grau vertrat als hiesige Hälfte das Tastenduos mit Götz Schumacher. Auch Friedemann Rieger war da, Pianist, Hochschullehrer und in Reutlingen künstlerischer Kopf der Kammermusikreihe.

György Kurtág, 1926 als Sproß einer ungarisch-jüdischen Familie im rumänischen Banat geboren, zählt neben György Ligeti und Péter Eötvös zur Trias der großen zeitgenössischen Komponisten Ungarns – in der Nachfolge der Neuerer und Volksmusik-Entdecker Béla Bartók, Zoltán Kodály und letztlich auch des Patriarchen Franz Liszt. Kurtág bildete mit seiner 2019 verstorbenen Frau Márta Kurtág auch ein Klavierduo von Rang.

„Játekók“ (Spiele) für Klavier zu zwei und vier Händen darf neben dem Orchesterwerk „Quasi una fantasia“ (dem zweiten Untertitel dieses großartigen Konzerts) als eines seiner Opera magna gelten. Die Querverweise in diesen aphoristisch-konzentrierten Stücken, etwa auf Bach oder gregorianische Quellen, sind ein Gestaltungselement, wie es auch diesen eindrücklichen Abend prägte.

Er war kontrapunktisch angelegt: Beginnend mit „Blumen die Menschen…“ aus den „Játékok“ folgte jedem Kurtág-Stück das eines anderen Komponisten, das wiederum Bezüge, Anspielungen, Referenzen oder gar Hommagen zu weiteren Kollegen eines imaginierten Komponisten-Netzwerkes enthielt. „Quasi una fantasia“ ist als Titel von Beethovens „Mondscheinsonate“ ein Begriff geworden.

Dieses kunstvolle thematisch-motivische Geflecht, tatsächlich ein Gesamtkunstwerk von schöpferischem Eigengewicht, war stimmig bis in die Äußerlichkeiten. Auf die überwiegend in sachlichem Schwarz und Weiß gehaltenen konkreten Kunstwerke der François Morellet & Vera Molnar, Manfred Mohr & Hartmut Böhm im akustisch herrlich geeigneten Museums-Ambiente war sogar die Garderobe bezogen: schwarz bis auf die sillbergrau glänzenden Hosen von Yseult Jost.

Domingos Costa, Yseult Jost. Fotos: Martin Bernklau

Das Paar beschäftigt sich auf höchstem klaviertechnischen Niveau mit einem Nischenthema in einer Nischenbesetzung – Duo plus Moderne bis Avantgarde – und verzichtet damit auf glamourösen Erfolg in der Breite. Die ungemein feinen und grandios weiten Anschlags-Valeurs, vom zartesten Pianissimo über glitzerndes Perlen, dem Hämmern von Orgelpunkten und wüst donnernden Clustern mit den Unterarmen oder der direkten Saitenbearbeitung im Korpus des Flügels ergänzen die beiden durch mühelose Geläufigkeit.

Geradezu akrobatische Übergriffe gehören auch dazu. War es nicht Kurtágs „Hand in Hand, Hommage à Sárközy“, das sogar in einer tatsächlichen Umarmung des Paars als Teil der Performance endete? Die Liste der Komponisten in dieser die Fantasie beflügelnden Tour d’horizon von 23 ohne Pause durchzelebrierten Stücken ist lang und reichte klanglich-stilistisch von ziselierter Avantgarde über Geräuschhaftes bis zu tonalem Wohlklang, von maschinenhafter Motorik und aufgelöster Taktstruktur bis zum Walzer.

Die Umarmung.

Die Einschübe begannen mit drei Teilen von Ligetis „Fünf Stücken für Klavier zu vier Händen“, dann Caspar Johannes Walters (*1964) „Spiel mit dem Unendlichen“ und „Change“ von Michael Frank Hagemann (*1961). Die Uraufführungen einer „Musik für Klavier zu vier Händen“ von Frederik Zeller (*1965) und Manuel Durão (*1987) folgten. Riccardo Vaglini (*1965) war mit „Ruinas fingidas“ und dem Fast-Schlusspunkt „Ti ballo la ciarda…“ zweimal vertreten. Wolfgang Rihms (*1952) drittem kleinen Walzer „Languido, con tenerezza“ von 1988 ging „Sou já do que fui“ von Paulo Bastos (*1967) voraus.

Nach Kurtágs „Nebelkanon“, dem „Spatzenlärm“ und den „Glocken – Hommage à Strawinsky“ beschloss das aphoristisch knappe „Blumen die Menschen [sich umschlingende Töne]“ aus den „Játékok“ den großen bunten Bogen, der auch ein Panorama der zeitgenössischen Klaviertechniken bot, ganz zyklisch.

Das Publikum feierte das hinreißende Interpreten-Paar und die beiden nach vorn geholten Komponisten Manuel Durão und Frederik Zeller lang und begeistert.

Click to comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

To Top