Musik

Motette – Gegen das Vergessen

Peter Unterbergs Kammerchor Concerto vocale in der Tübinger Stiftskirche – und ein Duo mit Liedern von Luise Greger

TÜBINGEN. Mit lauter Lieblingsstücken und ein paar entlegeneren Vokalsätzen beeindruckte Peter Unterbergs Concerto vocale am Samstagabend in einer sehr gut besuchten Stiftskirchen-Motette. Eingebettet in ein erlesenes Chorprogramm sang Bariton Johannes Fritsche, begleitet von Manon Parmentier am Flügel, Lieder der fast vergessenen Komponistin Luise Greger.

Das erinnert ein wenig an Mozart-Anekdoten: Im mecklenburgischen Greifswald 1861 geboren, durfte die hochbegabte Zehnjährige am Zarenhof in St. Petersburg vorspielen. Als Pianistin und Komponistin doch offenbar sehr gut ausgebildet, lagen Luise Sumpf der vollen Entfaltung ihrer Talente die üblichen Hindernisse als Frau im Weg, wozu wohl auch die Ehe mit dem Berliner Arzt Dr. Ludwig Greger gehörte. Ein Sohn fiel im Ersten Weltkrieg. Nachdem der zweite in Kassel gestorben war, musste die längst Geschiedene 1939 in ein Siechenhaus umziehen. Vielleicht wegen beginnender Demenz wiesen sie die NS-Behörden 1943 ins Psychiatrische Landeskrankenhaus ein, wo die 83-Jährige bald starb, oder gewissermaßen an absichtlicher Unterversorgung gestorben wurde. Neben der exemplarischen Lebenstragik harrt auch ihr teils verschollenes Werk der weiteren Entdeckung.

Die sehr eigene Tonsprache Luise Gregers, mit ihren schillernden Harmonien irgendwo zwischen Brahms und Richard Strauss (der sie offenbar hoch schätzte) angesiedelt, brachte Johannes Fritsche mit seinem hell timbrierten Bariton in sensibler Begleitung durch Manon Parmentier am Bösendorfer sehr beeindruckend zum Klingen, klangschön und fein in den geschmeidig gestalteten Affekten abgestimmt. Die fünf Lieder aus Zyklen mit den Opuszahlen 125 („Auf den Schwingen der Nacht“) und 85 („Glücksvögelein“) zu expressiv-romantischen Texten machten neugierig auf mehr.

Eine erstaunliche Stimmkultur und Gestaltungskraft hat Peter Unterberg mit seinem 1996 gegründeten Concerto vocale erreicht. Als studentisch-universitäres Ensemble mit rund 40 auffallend jungen Stimmen hat der Kammerchor naturgemäß mit hoher Fluktuation zu tun. Um so höher sind die Geschlossenheit, rhythmische Präzision und klangliche Schönheit zu bewerten, mit der Unterberg – als Quereinsteiger von Gerhard Steiff, Dieter Kurz und Rolf Schweizer geschult – selbst achtstimmige Sätze scheinbar mühelos in flexibler, dem Melos der Sprache folgender Ausdruckskraft seiner Sänger zum klingen bringt. Den starken Sopranistinnen stehen die absteigenden Stimmgruppen nicht nach.

Die wunderbar atmenden Linien der Motetten von Felix Mendelssohn Bartholdy lieben alle Choristen, auch die majestätisch gespannten Klangdome von Heinrich Schütz, dessen Kunst nicht zuletzt auf Claudio Monteverdis Erweiterung frommer Polyphonie zum monodischen Ausdrucksgesang fußt. Der Hymnus „Ave maris stella“ aus Monteverdis „Marienvesper“ von 1610 in all seiner homophonen Pracht war da ein Höhepunkt, das unvergleichlich romantische „Abendlied“ von Gabriel Rheinberger gab den Schluss. Dazwischen ließen Motetten des Engländers Thomas Ravenscroft, des Spaniers Tomás Luis de Victoria oder des Franzosen Guillaume Bouzignac aus dieser Wendezeit von der Renaissance zum Barock aufmerken, dazu das hochbarock sechsstimmige Anthem „Nunc dimittis“ des genialen Henry Purcell.

Peter Unterberg uns sein Kammerchor Concerto vocale in der Stiftskirchen-Motette. Fotos: Martin Bernklau

Keine Schwächen, vorzügliche Intonation beim ungestützten Gesang a cappella, ein Stück schöner, geschmeidiger und intensiver als das andere aufblühend und wieder verklingend, von einer ausgefeilten Deklamation und Klangdelikatesse, wie man sie sich bei einem studentischen Chor kaum besser vorstellen kann – der ganz lange Beifall der begeisterten Motetten-Besucher war vollkommen verdient. Er galt natürlich auch dem Duo, das den Zuhörern die unbekannte Liedkunst Luise Gregers so ergreifend nahegebracht hatte.

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