Gudni A. Emilsson dirigiert im Tübinger Uni-Festsaal ein Neujahrskonzert mit dem Sinfonieorchester Prag und drei Solisten
TÜBINGEN. Das darf gerade noch als Neujahrskonzert gelten. Danach beginnt das Jahr richtig: Gudni A. Emilsson, für das Programm von Kulturreferat und Museumsgesellschaft zuständig, dirigierte das erste Konzert von 2024 selbst. Seit der gebürtige Isländer dieses Impresario-Amt von Helmut Calgéer übernahm, hatte er einen genauen Blick gen Osten. Ex oriente lux, sozusagen. Und so holte er sich jetzt das Sinfonieorchester des Nationaltheaters Prag nach Tübingen. Dazu als Solisten den jungen slowenischen Hornisten Andrej Žust von den Berliner Philharmonikern sowie das italienische Klavierduo Marco Schiavo und Sergio Marchegiani. Das war der Süden.
Und mit einem warmen Wind – draußen war Winter – fing der Abend auch an. Gioacchino Rossini begann seinen großartigen Weg als Opernkomponist an La Fenice in Venedig mit der eilig verfassten komischen Oper „Eine Italienerin in Algier“. Allein seine hinreißenden Ouvertüren, immer nach ähnlichem Muster mit unnachahmlich federndem Schwung geschaffen, würden seinen Weltruhm rechtfertigen. Mit der Oboen-Kantilene führte das Prager Orchester gleich einen seiner besten Teile ein, die Holzbläser. Die zunächst eher sachlich gestimmten Streicher kamen Gudni Emilssons Streben nach absoluter Präzision entgegen – auch in den Rubati und der kontraststarken Dynamik.
Der Prager Leopold Koželuh (1747 bis 1818), bald vom Magnetismus der musikalischen Welthauptstadt Wien angezogen, wirkte dort im direkten Umfeld der Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven, sogar noch des blutjungen Franz Schubert, der seine Sinfonien schätzte. Er galt später als minder begnadeter Vielschreiber, manchen Verschwörungstheoretikern sogar – wie Antonio Salieri – als Vergifter des überlegenen Konkurrenten Mozart. Nun, man muss es erst mal schaffen, dass einige Werke lange Beethoven oder Mozart zugeschrieben wurden.
Das Konzert für Klavier zu vier Händen B-Dur leitet ganz langsam der linke, mit dem tieferen Part betraute der beiden Solisten ein. Die Klangsprache ist ganz mozartisch, oder fast, auch wenn heutzutage fast jeder Musikliebhaber kühn behaupten würde, den spezifischen Mozart-Ton selbst mit zugestöpselten Ohren erkennen zu können. Skalen, Parallelen, Vorhalte, Echos – derer bedient sich ein Leopold Koželuh als einfache, aber effektvolle Mittel genauso gern wie ein Mozart, übrigens auch ein Rossini. Marco Schiavo und Sergio Marchegiani, beide auch als Solisten im Geschäft, verfügen gleichermaßen über einen funkelnden Anschlag, ein Jeu perlé, das bestens zu solcher Rokoko-Klassik passt.
Vor allem von Sergio Marchegiani ging in allen Sätzen, auch dem charmanten Adagio, ein stetes, wenngleich dezentes Drängen im Tempo aus, das temperamentreich und energiegeladen wirkte, die Geschlossenheit auch mit dem Orchester aber manchmal ein wenig an eine Grenze brachte, wo auch Gudni Emilsson Mühe mit dem exakten Zusammenhalt bekam. Der unbekannte Wiener Klassiker aus Prag war trotz alledem eine lohnende Entdeckung. Eine besondere Pointe war die erste Zugabe des Duos: Die Italiener spielten die eben gehörte Rossini-Ouvertüre in der Klavierfassung zu vier Händen – und zwar derart brillant, dass ihr Jubel den Zuhörer eine zweite, noch famosere bescherte: den vierten der Ungarischen Tänze von Johannes Brahms, von Schiavo/Marchegiani schon sehr erfolgreich für Audiomedien eingespielt.
Nach der Pause kam echter Mozart – mit Prag bekanntlich über den Don Giovanni (und Mörikes Novelle) aufs Engste verbunden. Seine vier Horn-Konzerte hat Wolfgang Amadé Mozart für den seit Salzburger Zeiten befreundeten und von ihm rüde bis vulgär geneckten Halb-Profi Joseph Leutgeb geschrieben, der in Wien sein Geld nicht mehr als Hornist und Komponist verdiente, sondern als Käsehändler. Für die Hornisten-Gilde sind die Konzerte, von denen das dritte in Es-Dur ausgewählt war, natürlich Kanon und Juwelen, auch wenn die virtuosen Anforderungen überschaubar sind die kompositorische Struktur eher als konventionell denn als aufregend oder gar revolutionär gelten darf.
Die klangliche Klasse zeigen die leisen Töne, das war auch hier so, vor allem im zärtlich-feierlichen Mittelsatz. Auch mit dem vorbildlich allen angemessen Raum für den Solisten lassenden Prager Orchester durfte Gudni Emilsson im finale Rondo die Zügel kräftig anziehen. Da kamen Jagdklänge hinein, da konnte galoppiert werden. Was er drauf hat, welche unglaublichen technischen und klanglichen Möglichkeiten dieses scheinbar so schlichte Blasinstrument bietet, das konnte Andrej Žust in seiner Zugabe zeigen der natürlich spanisch geförbten „Espana“ des 1961 gestorbenen Russen Michail Buyanovski. Nicht die Finger habe da geradezu unfassbare Schwerstarbeit zu verrichten, sondern die Lippen. Grandios!
Der orchestrale Höhepunkt kam zum Schluss. Es scheint tatsächlich so, dass eine gewisse Heimatverbundenheit ihre nicht zu unterschätzende Rolle spielt in der Musik. Das Sinfonieorchester des Nationaltheaters Prag fühlte sich jedenfalls sichtlich und hörbar am allerwohlsten bei Antonin Dvořák und entfalteten in seiner Tschechischen Suite D-Dur opus 39 ihr höchstes Maß an süffigem Klangschmelz oder dem, was man früher vielleicht als böhmisches Musikantentum bezeichnet hätte.
Der Weltmusiker und tschechische Nationalkomponist, 1904 in Prag gestorben, hat in dieser Suite die barocke Form einer Reihung höfischer Tänze mit fünf zuweilen weniger graziösen, sondern volkstümlichen slawischen, teils auch etwas derberen Tänzen gefüllt, in der für ihn typischen satztechnischen Meisterschaft, dem reizvollen Auswiegen der Orchestergruppen und mit seinem melodischen Reichtum. Völlig zurecht lobte der Dirigent nach diesem bis in die Details herrlichen Finale allen voran seine Holzbläser, die auch das Publikum gebührend feierte.