Musik

WPR-Neujahrskonzert – In 38 Variationen

Die Württembergische Philharmonie spielte am Montagabend in der Reutlinger Stadthalle unter der Leitung von Jamie Phillips

REUTLINGEN. Gast am Flügel war der russische Pianist Roman Borisow. Der große Saal der Stadthalle war fast voll besetzt. Seit einiger Zeit versucht die WPR offenbar, vom konventionellen Sinfoniekonzert-Schema aus Ouvertüre, Solokonzert und Sinfonie wegzukommen, indem sie mit ungewöhnlichen Kombinationen experimentiert. Diesmal mit der Kopplung von gleich zwei großen Variationswerken: Sergei Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ für Klavier und Orchester sowie Edward Elgars „Enigma-Variationen über ein Originalthema“.

Klaviersolist Roman Borisow. Fotos: Susanne Eckstein

Als Quasi-Ouvertüre vorangestellt wurde eine noch relativ neue Komposition der vielfach ausgezeichneten Britin Anna Clyne: „Masquerade“ für großes Orchester, geschrieben für die Londoner „Proms“ 2013. Ein Knall eröffnet eine bunte, fließende Collage, die ein wenig an Debussys „La mer“ erinnert, das Orchester in vielfach geschichtetem Tutti beschäftigt und mit seiner triumphalen Schlussgeste eher nach Finalstück klingt. Im Gegensatz zu den wogenden Klängen steht das zackige Dirigat von Jamie Phillips, der das bunte Treiben mit präzisem Taktschlag zusammenhält.

Zugleich Solokonzert und Variationenwerk ist Rachmaninows Paganini-Rhapsodie, komponiert 1934, deutlich sparsamer instrumentiert als seine früheren Klavierkonzerte, rhythmisch pointiert und stilistisch Gershwins „Rhapsodies“ verwandt. Für den jungen Pianisten Roman Borisow – wie es scheint – eine leichte Übung: Komplett auswendig schüttelt er die pianistische Teufelsgeigerei in 24 Folgen locker aus dem Ärmel, genialisch-eigenmächtig wie eine Jazz-Session mit dem Orchester. Trotz des strikten Dirigats nutzen Pianist und Orchester ihren Freiraum, um dem Variationen-Kontinuum vielgestaltige Abwechslung zu geben, ohne näher auf das dahinterstehende Programm (der Teufel erscheint im „Dies irae“) einzugehen.

Als Insel der Seligen taucht daraus die Variation Nr. 18 auf, eine Cinemascope-Träumerei wie im Liebesfilm, agogisch überdehnt und romantisiert, um die Reisenden danach wieder in eine eher kantige Welt zu entlassen. Als Dreingabe für das jubelnde Publikum zaubert Borisow mit seiner poetischen Anschlagskunst.

Nach der Pause folgen Elgars „Enigma“-Variationen – insofern problematisch, als sie das monothematisch reihende Verfahren an diesem Abend bis zum Ende ausdehnen. Wobei Elgars eigentliche Themenvorlage im Dunkel hinter seinem „Originalthema“ bleibt – war’s der zweite Satz von Beethovens Sonate „Pathétique“? Es bleibt ein Rätsel.

Die 14 mit Buchstabenkürzeln überschriebenen Charakterstudien über Elgars Freund/innen jedenfalls nutzen Phillips und das Orchester zu plastisch kontrastierendem Nachzeichnen; die Begeisterung des Dirigenten, der seine Sicht zuvor persönlich erläutert hat, überträgt sich hörbar auf die Musiker. Die Bewegung ist jetzt weicher, Details werden liebevoll ausgearbeitet.

Vom Publikum gefeiert: Solist und Dirigent. Foto: Susanne Eckstein

Auch hier erscheint mittendrin eine romantische Insel („Nimrod“, Variation 9), die Eingang in die Populärkultur gefunden hat und hier eine zauberhafte Überhöhung erfährt. Dank Phillips‘ Einführung hört man später auch noch den Ozeandampfer und die ferne Schiffssirene in der mit *** überschriebenen Variation 13. Am Ende holen die Musiker aus zum grandiosen Finale (EDU=Edward?) à la Pomp and Circumstance, gefolgt vom lang anhaltenden Applaus des Publikums.

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