Musik

WPR: Bartók und Brahms voll Emotion

Geigerin Mirjam Contzen, Gábor Takács-Nagy und die Württembergischen Philharmoniker in der Reutlinger Stadthalle

REUTLINGEN. Es gäbe niemanden, der berufener sein könnte, Béla Bartók zu dirigieren, als der 1956 in Budapest geborene Geiger, Kammermusiker und weltweit begehrte Dirigent Gábor Takács-Nagy. Für das zweite Sinfoniekonzert der Württembergischen Philharmoniker am Montagabend in der fast ausverkauften Reutlinger Stadthalle und für das zweite, das eigentliche Violinkonzert Bartóks hatte er sich mit Mirjam Contzen eine Solistin von ähnlich weit hallendem Ruf an die Seite geholt, zwanzig Jahre jünger, Berliner Professorin, Kammermusikerin, Festivalgründerin – und in Jugendjahren Meisterschülerin des großen Ungarn Tibor Varga. Nach der Pause gab es die Erste von Brahms.

Bartóks Meisterwerk entstand ein wenig wider Willen in den düsteren Jahren vor seiner Emigration in die USA. Denn Zoltán Székely, sein Solist, Auftraggeber und Freund, bestand auf der klassischen dreisätzigen Konzertform. Bartók kombinierte die Beherrschung überlieferter Satztechniken mit seiner Modernität, entwickelte in enger Absprache mit dem Instrumentalisten ein Stück von grandioser Virtuosität und griff natürlich auf die Farbe, Melodik und das Temperament seiner ungarischen Volksmusik zurück. Auch im Orchester viel Experiment: mit Piccolo, Bassklarinette und -posaune, Kontrafagott, natürlich Harfe im traditionellen Apparat, dazu hochdifferenziertes Schlagwerk und eine Celesta – eine Besetzung übrigens, die Bartóks Bewunderer Thomas Mann im „Doktor Faustus“ beschrieb.

Mirjam Contzen und Gábor Takács-Nagy (als Geiger Milstein-Schüler übrigens) passten nicht nur perfekt zusammen, sondern wetteiferten geradezu in dem wilden und zärtlichen musikantischen Temperament und, das dieses Werk verlangt. Da ist dann einfach auch ein sonst eher verpöntes Nachdrücken nach Art von Zigeunergeigern, ein etwas aus der Mode gekommenes besonders sattes Vibrato oder ein Abreißen vollkommen passend. Bei Bartok wächst die Solostimme nicht aus einem Orchestervorspiel heraus, sondern steht von Beginn an absolut im Zentrum.

Mirjam Contzen. Foto: Martin Bernklau

Mirjam Contzens, klarer, großer und genauer Ton, ihre irrwitzigen, manchmal nähmaschinenhaften Läufe, Skalen, exakte Oktaven und die anderen Doppel-, nein Mehrfachgriffe, aber auch die sanfte, zuweilen sphärische Intensität ihrer Kantilenen machten staunen, bei allem wilden Temperament alles sauber und präzise bis in die Viertelstöne der Kopfsatz-Kadenz u. Großartig der unablässige Dialog mit dem Dirigenten und einem bis in die Fingerspitzen motivierten Orchester. Als Zugabe für den jubelnd langen Beifall spielte die charismatische Virtuosin gemeinsam mit Konzertmeister Fabian Wettstein zwei Volkstänze Bartóks, darunter der „Dudelsack“.

Mit einer Ansprache auf Englisch führte Gábor Takács-Nagy nach der Pause in seine ganz persönlich biografische hochemotionale Deutung – was vollkommen legitim ist – der ersten Sinfonie von Johannes Brahms ein, c-Moll, 1876 nach 14 Jahren Arbeit uraufgeführt: Gefühlswirren und Selbstzweifel nach dem Tod des Freundes Robert Schumann, die Sehnsucht, Liebe, dann tiefe Freundschaft zu dessen Witwe Clara münden im Licht, in der Freude der zitierten Beethoven-Neunten und der Frömmigkeit des Choralthemas, im erlösenden C-Dur wie bei Haydns „Schöpfung“.

Gábor Tákacs-Nagy. Foro: Martin Bernklau

Alle Sätze, vor allem das triumphale Finale, hatten ihre großen emotionalen Momente, eine in allen Kontrasten saubere Form, mitreißende Dynamik und höchste klangliche Intensität. Auch an Präzision – ein Beispiel nur: die Pizzicati des Schlusssatzes – mangelte es mitnichten, an mitreißendem Temperament und sanfter lyrischeer Innigkeit sowieso nicht. Zuweilen aber, gerade in den volleren, lauteren Passagen, hätte man sich etwas mehr Transparenz für die satztechnische Struktur gewünscht, stärkere Kontur vielleicht durch differenziertere Phrasierung, vielleicht durch Impulse, Akzente (gerade da ist man von WPR-Chefdirigentin Ariane Mathiak doch verwöhnt!).

Das änderte aber nichts an dem fantastischen, eben von dieser biografisch-emotional Deutung geprägten Gesamteindruck. Er rief einen Jubel hervor, der dem für das glanzvolle Bartók-Violinkonzert in nichts nachstand.

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