Gudni A. Emilsson dirigiert die Nationale Philharmonie Lemberg im Tübinger Uni-Festsaal
TÜBINGEN. Beethoven pur. Ein traditionelles Kontrastprogramm zum eher hippen Hollywood-Semesterauftakt dirigierte Gudni Emilsson selber am Sonntagabend als zweites Saisonkonzert. Der Impressario von Kulturreferat der Uni und Museumsgesellschaft hatte sich die Nationale Philharmonie aus dem ukrainischen Lemberg (Lviv) mit Konzertmeister Marko Komonko als Violinsolisten eingeladen. Und siehe da: Sein angestammtes Publikum ließ Emilsson nicht im Stich. Der Festsaal war vielleicht nicht bis auf den letzten Platz, aber doch sehr gut besetzt.
Die Coriolan-Ouvertüre steht in der Gunst ein bisschen zurück hinter Ludwig van Beethovens Leonore-Vorspielen zur eigenen Oper „Fidelio“ und zur noch heroischeren Egmont-Ouvertüre. Vielleicht zu Unrecht. Denn die Einleitungsmusik zum Schauspiel über den Patrizier, der sich mit den Feinden Roms verbündet, ist ein sehr origineller, sehr typischer Beethoven, mehr Charakterstück als Programm-Musik.
Kantig, klar und kontraststark nahmen Emilsson und sein Orchester, das in relativ kleiner Besetzung angetreten war, diese dramatisch zugespitzte Musik. Die herrischen Unisoni, die Schläge, die angeschärften Reibungen, sich aus der Stille auftürmenden Repetitionen und nicht zuletzt die effektvoll ausgekosteten plötzlichen Generalpausen hatten einen energischen Zug und die pathetische Größe eines Heldenepos. Besonderen Eindruck machte auch der Schluss. Nach einer elegischen Cello-Kantilene über ruhenden Akkorden verklingt das Stück in einem hauchfein gezupften Pianissimo.
Beethovens im Jahr 1803, also direkt davor begonnenes einziges Violinkonzert, D-Dur, hatte sich nach der Wiener Uraufführung drei Jahre später nicht recht durchgesetzt, wohl auch, weil es so schroff mit vielen Konventionen brach. Erst Felix Mendelssohn, auch Wiederentdecker von Bachs Matthäuspassion, holte es mit dem Solisten Joseph Joachim 1844 in London wieder aus der Vergessenheit und Versenkung in die ewige erste Reihe der Gattung.
Schon in der lyrischen Einleitung zum überlangen ersten Satz zeigte Marko Komonko, Konzertmeister der Philharmonie aus der galizisch-ukrainischen Hauptstadt Lviv, seinen ganz spezifischen Ton, dem sich Gudni Emilssons Orchesterklang und Duktus anpasste: ein selbst in emotionalen Rubati nie in süßlicher Süffigkeit schwelgender, eher sachlicher Zugriff, ganz dicht und gerade in den ganz hohen Lagen von fast schneidender Schärfe und Klarheit.
Das im Handgelenk statt im Unterarm angesetzte Vibrato, ganz russische Schule, brachte allerdings auch viel Wärme in den Ton, wo es dem Solisten nötig schien und und passte. Der oft von Energie strotzende Zugriff führte die Intonation bei besonders expressiven Passagen zuweilen an jene Grenze, die gerade noch färbt und noch nicht trübt. Die großen Kadenzen, auch die im jagdhaften 6/8-Takt schwingenden Final-Rondo zeigte eine ganz hohe Schule der Geläufigkeit und eine imponierende Dichte in den Doppelgriffen, dazu ein herausragendes Verständnis für thematisch-motivische Arbeit.
Auch die Lyrik des hochemotionalen Larghetto-Mittelsatzes hört man meist mit mehr Mühen um melodiöse Süße. Die eher ins Nüchterne neigende Deutung des Solisten, auch von Dirigent und dem mit präziser Schlagtechnik geführten Orchester war aber doch ein profiliertes Statement, wo es nicht um richtig oder falsch, gut oder schlecht, sondern um eine eigene Deutung, eine musikalische Meinung geht. Alle diese Tugenden bündelte Marko Komonko in der intensiven Zugabe, Bachs „Allemande“, dem Kopfsatz zur ersten Solo-Partita, für die der Solist zurecht nochmals gefeiert wurde
Die bis zur Pause vielleicht eine Spur gelockerte Spannung der Lemberger Philharmoniker war wieder voll da nach der Pause, zur packenden Vorstellung von Beethovens vielleicht am wenigsten geläufiger Sinfonie, der Nr. 2 in D-Dur. Noch ganz homophon geprägt, sind doch von Anfang an Beethovens Stilmittel unüberhörbar: die Kontraste, die Dynamik der drängenden Repetitionen, das Zupackende und Heroische, die Modulationsschleifen – und als Gegensatz die zarte, liedhafte, lyrische Melodik des Larghetto.
Auch das bevorzugte Scherzo mit seinem ruppigem Schluss, an die Stelle des üblichen Menuetts getreten, zeigt anno 1801 schon den ganzen reifen Beethoven. In dem mit seinen Vorschlägen, Gegenrhythmen und Synkopen schwer zu spielenden Finale mit seinem schwungvollen Zug kostete der Dirigent wieder die Dissonanzen aus und durfte am Schluss in den langanhaltenden Beifall und das Verteilen der Blumen hinein ganz zurecht besonders seine Holzbläser loben.
Nachschrift am Rande: Man muss nicht, aber man darf es durchaus es als angenehm empfinden, dass der Auftritt der ukrainischen Orchesters von Fahnen und politischen Deklamationen ganz frei blieb. Musik, Kultur und Sport haben sich wohl doch eine Zeitlang viel zu sehr völlig vereinnahmen lassen – egal, wie gut die Sache nun war, der diese Welle von allgegenwärtigen Solidaritäts-Bekundungen galt.