Die Tonne holt mit „Heartbreak Hotel“ den King of Rock’n’Roll nach Reutlingen
REUTLINGEN. Steht ein Elvis-Jubiläum an? Ja, in gut einem Jahr, der 90. Jahrestag seiner Geburt. Aber der King ist sowieso unsterblich und immer aktuell. Und dass immer mehr Musik ins Theater kommt, ist ja nichts Neues. Die Tonne ist da Vorreiter und bringt in dieser Spielzeit nach den Chansons aus den goldenen Zwanzigern (im Keller) eine zweite Revue auf die Bühne. „Heartbreak Hotel“ hatte am Samstagabend seine fast ausverkaufte Premiere.
Ein gemischtes Tripel hat da ein veritables Rock’n’Roll-Cover-Konzert zum Theaterabend gemacht und dafür ein Schauspieler-Quartett auf die Bretter geschickt, das richtig gut singen, tanzen und seine Instrumente spielen kann, assistiert von zwei Musikprofis im seitlichen Hintergrund: Daniel Sundy zupft seine Bässe, Joachim Gröschel schlägt und streichelt die Drums. Die vier Elvisse, meist in edel weißen Anzügen aus Kathrin Röhms Schneiderei, hin und wieder mit Elvis-Tollen-Perücken, verkörpern verschiedene Facetten des King.
Chrysi Taoussanis gibt die weibliche Seite des Stars, manchmal die zornige und auch die schwache, die bedürftige. Ihre wiederkehrenden Zusammenbrüche, mit denen sie alle foppt, sind eine Art Running Gag. Thomas B. Hoffmann ist so etwas wie das christliche Gewissen im bigotten Amerika und spielt die E-Gitarre. David Liske hat einen schönen lyrischen Tenor, ist der Elegante und Extrovertierte und sitzt immer wieder souverän an den Keyboards, die ihrerseits hinter einer TV-Truhe der Sechziger stehen, auf deren kleinem Schirm durchgängig Schwarzweißes läuft (Ausstattung: Katharina Kindsvater). Und Daniel Tille, der Musiker an sich in Elvis, ist nicht nur ein kraftvoller Sänger und staunenswert versierter Gitarrist. Er gehörte auch zum Konzept-Team um Dramaturg Michel op den Platz sowie den Regisseur und musikalischen Leiter Fridtjof Bundel, das Tanzcoach Simona Semeraro vervollständigte.
Ganz grob lassen sich auch vier Teile (oder fünf, wenn man der Army-Zeit in Germany ihr ganz eigenes Gewicht gibt) ausmachen, in denen mit Szenen, Reflexionen und natürlich Songs das Leben des Elvis Presley in seine chronologischen Epochen aufgefächert wird: Herkunft, Aufstieg, Abstieg und Untergang des King, der am 16. August 1977 in seiner Villa Graceland in Memphis Tennessee mit erst 42 Jahren – verfettet, verbraucht, verlassen und verzweifelt – an Pillen, Weltekel und gebrochenem Herzen zugrunde ging. Die Verlobte, wohl eher ein Groupie, fand ihn tot im Badezimmer. Die Welt stand still, schon über den Rock’n’Roll hinaus.
Die rundum gelungene Elvis-Collage der Tonne sucht in ihren Episoden und Songs ein wenig psychoanalytisch nach Kräften im Hintergrund und Untergrund, von denen dieses krasse Heldenleben beeinflusst, wenn nicht gar gelenkt und gesteuert wurde. Die schwere Geburt als Zwilling des totgeborenen Jesse, die beidseitig abgrundtiefe Mutterliebe, die Gospel-Frömmigkeit der Südstaaten, die mafiöse Macht des Managers „Colonel“, eine dem Sänger zutiefst wesensfremde Film-Karriere, Liebe und Leid mit der anfangs minderjährigen Priscilla, die ihn als Frau schließlich verlässt, der Show-Moloch Las Vegas, Exzesse, Seelennot und Einsamkeit.
Es fällt auf, dass mit diesem Ansatz auch die geläufigen Songtexte von „Heartbreak Hotel“ über „Hound Dog“ bis „Fever“ an Tiefe gewinnen. Die Inszenierung setzt nicht nur auf die Kraft des Rock’n’Roll und der Songs, sie setzt auch viel Stille ein. Gegen Ende, zum Abstieg und Absturz des King hin, wird das etwas arg bedeutungsschwanger und führt sogar zu gewissen Längen. Die Lebensuhr läuft ab. Countdown. Der Tod kommt mit einer amokhaften Ballerei unter den vier Elvissen, ein etwas plakativ-symbolischerer Knalleffekt zum Finale.
Etwas paradox: Keineswegs bescheiden, aber nicht wirklich dringlich gefragt und am wenigsten spektakulär war in diesem Spektakel vielleicht die schauspielerische Leistung des Quartetts. Aber das ist ja auch der alltägliche Job. „Heartbreak Hotel“ ist Ausnahmezustand. Hinreißend und großartig hingegen diese Musik, der Gesang, auch die Choreo einer höchst unterhaltsamen Revue. Das Publikum jubelte und kreischte, wie sich das beim King of Rock’n’Roll gehört, und bestand auf mindestens sechs oder sieben Vorhängen.