Bühne

Gogol im LTT – Kritik und Klamauk

Das Tübinger Landestheater schärft die satirische Komödie aus russischer Zarenzeit mit viel Aktuellem und viel Multimedia an

TÜBINGEN. Gogols „Revisor“ ist an sich schon ein starkes Stück, von der satirischen Anlage über groteske Situationskomik bis hin zum Wortwitz. Ein echter Klassiker, inzwischen fast 200 Jahre alt – was sich auch daran zeigt, wie leichthändig es der LTT-Inszenierung von Gregor Turecek gelingt, das zeitkrititische Potenzial aus der Zarenepoche, die von Korruption, Untertanengeist und Verblödung gekennzeichnet ist, voll auszuschöpfen. Wobei sie tolle Ideen, aber nicht immer ein ganz glückliches Händchen hat.

Die Hochstapler-Geschichte von Nikolaj Gogol um den falschen Revisor, einen Regierungs-Kontrolleur, den ein gutgläubiges, abgrundtief bestechliches und unterwürfiges Landstädtchen-Volk geradezu in seine Rolle als Betrüger drängt, kam 1836 auf die Bühnen der Metropolen St. Petersburg und Moskau und feiert seither seine Erfolge an den Bühnen Europas, ja weltweit. Das Stadt-Land-Gefälle, im Russland Gogols und der Zaren ein ganz großes Thema, tritt in der Tübinger Version ein wenig zurück.

Es wirkt wie das Resultat eines Brainstormings, eine fixe Idee, in die man sich dann schließlich festgebissen hat: Regisseur Turecek, Dramaturgin Christine Richter-Nilsson und Ausstatterin Juliette Collas lassen alle fünf Akte der Handlung in einem Ambiente spielen, das irgendwo zwischen den klinischen Kacheln von Krankenhausk, Freibad und Wellness-Oase angesiedelt scheint. Zwei Rampen, den Übergängen zwischen Flachwasser und Schwimmerbahnen nachempfunden, schließen einen umzäunten Kernbereich ein, zwei sanitäre Funktionsräume am oberen rechten Rand, Klo und Dusche, dienen mit ihren Vorhängen einem munteren Rollenwechsel. Eine Bodenklappe rechts und ein Balkon linkerhand mit Leiter, dazu zwei zusätzliche Hintertürchen, sie alle eröffnen weitere Auf- und Abtrittsmöglichkeiten.

Keine ganz schlechte Idee zwar, sehr originell. Aber zum einen fehlt diesen Räumen zuweilen die nötige Plausibilität, etwa wenn sie die Amtsstube, das Schlafgemach oder den Speisesalon darstellen sollen; zum anderen fesseln sie die ganze Inszenierung fast wie einen Gefangenen. Immerhin läßt sich die weiße Kachelwelt durch Licht farbig verwandeln.

Zentral allerdings prangt eine Leinwandfläche über der Szenerie, auf der sich die zweite Ebene des Stücks abspielt, die multimedial Manches ausgleichen und ins Offene, auch ins Aktuelle erweitern kann. Das ist der Clou, die Pointe der Inszenierung. Hier werden als Intermezzi Videos eingespielt, die mit der Theatertruppe im echten Tübinger Freibad, auf dem Golfplatz Kressbach oder im Spiegelkabinett einer Mom-Influencerin – Jennifer Kornprobst als möchtegern-mondäne Gattin des Stadthauptmanns Anton samt Tochter Marja (Rosalba Salomon) oder mit dem Bike auf den Easy-Rider-Straßen des Landkreises – abgedreht worden sind.

Der falsche Revisor Iwan – im stylisch gelben Anzug am gedeckten Gasthaustisch oder nackt in die Badewanne steigend – wird von Stephan Weber gegeben, sein Diener Ossip von Andreas Guglielmetti, der speichelleckerisch-korrupte, aber auch befehlsgeile Stadthauptmann von Gilbert Mieroph. Das sind Hauptrollen, die durchaus auch für Vertiefung zum Charakter über den Typus hinaus taugen könnten. Solches Potenzial können sie aber nur selten ausschöpfen. weil sie sich mehr einem lauten, schnellen, bis zum Klamauk und Slapstick scharfgezeichneten Tempo unterordnen müssen, das dem Publikum ebenso Laune macht wie die Musik und die Choreografie. Klar, das hat auch was. Selbst wenn es oft in überdrehtes Gestammel, pantomimisches Gestakse, Geschrei überging – oder schlicht in Rock’n‘ Roll („Up in Town“).

Die vielen Nebenrollen in stetem Wechselspiel sind mit Emma Schoepe, Rolf Kindermann, Justin Hibbeler und Jonas Hellenkämper prima besetzt und gut gezeichnet. Die Trash-Klamotten sind vom Feinsten. Auch sonst spart die Regie nicht mit guten Ideen: die alptraumhafte Nachtszene mit Taschenlampen-Schlaglichtern, der gruselige Auftritt der Geschäftsleute-Gespenster, das Schwimmen in Bestechungs-Geldscheinen, sportive Einlagen mit Leucht-Rollschuhen, die vielen Klassiker-Zitate und Hinweise auf Lokales („Man kann auch in einem Kaff glücklich sein!“) und sogar auf die zeitgleichen Eigenproduktionen, das sprühte vor Einfallsreichtum, Ironie und Selbstironie.

Gegen Ende schwärmte die Truppe sogar ins Publikum aus, das diesen Tübinger Gogol-„Revisor“ mit langem Applaus, mit Jubel und Bravos feierte, der die ätzende Zeitkritik alter Satire im jungen, neuen Gewand und in scharfem, multimedialem Licht vorführt.

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