Musik

Paternostro mit der WPR – Musik als Genesung

Ein umjubeltes Wiedersehen: Roberto Paternostro dirigiert die Württembergische Philharmonie in der Reutlinger Stadthalle mit Wagners „Siegfried-Idyll“ und Bruckners Fünfter

REUTLINGEN. Als Roberto Paternostro, bis dahin Karajan-Assistent in Berlin, im Jahr 1991 nach Reutlingen kam, sollte für neun Jahre Generalmusikdirektor der Württembergischen Philharmonie bleiben. Es wurde eine große Zeit für den sizilianischen Juden aus Wien und für das Orchester in der schwäbischen Provinz. Jetzt kam der 66-Jährige, von einer schweren Krebserkrankung genesen, auf ein Gastspiel zurück und dirigierte am Montagabend in der fast ausverkauften Reutlinger Stadthalle, einem Konzertsaal, wie er ihn sich seinerzeit statt der putzigen Listhalle gewünscht hätte, zwei Werke, die von besonderer Bedeutung für ihn sind: das „Siegfried-Idyll“ von Richard Wagner und Anton Bruckners fünfte Sinfonie in B-Dur. Schmal ist er geworden, der große Mann.

Das „Siegfried-Idyll“, eine private Morgengabe an Cosima, die noch mit Hans von Bülow verheiratete uneheliche Tochter von Franz Liszt, anlässlich der Geburt ihres dritten gemeinsamen Kindes 1869, in Asyl von Tribschen am Vierwaldstätter See, war eigentlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Erst Wagners notorische Geldnot führte dazu Roberto Paternostro hatte als späterer Dirigent des Israel Chamber Orchestra, lange dafür gekämpft – wie Daniel Barenboim auch – die Musik des neben Monteverdi, Mozart und Verdi wohl größten Musikdramatikers, aber eben auch widerwärtigen Judenhassers Richard Wagner überhaupt spielen, womöglich sogar in Israel aufführen zu können. Beiden waren dabei nur Teilerfolge beschieden.

Für Claudio Abbado, den Karajan-Nachfolger bei den Berliner Philharmonikern, war Gustav Mahlers „Auferstehungs-Sinfonie“ nach überstandener Erkrankung das Schlüsselwerk zur Heilung der vom Krebs gepeinigten Seele. Für Paternostro könnte etwas Ähnliches Bruckners Sinfonie Nr. 5 in B-Dur sein, nach Eigeneinschätzung des kindlich-schlichten Genies vom oberösterreichischen Linzer Land, das innig an seinen „Lieben Gott“ glaubte, sein „kontrapunktisches Meisterstück“. Bruckner, völlig verkannt und von der Wiener Kritik gnadenlos verrissen, hatte die eigene Letztfassung nach langer Leidenszeit 1878 fertiggestellt. Durch Gönner-Initiative 1894 in Graz als „Bearbeitung“ uraufgeführt, hat Bruckner, schwer erkrankt, das gewaltige Werk nie selbst gehört.

Roberto Paternostro und ein Teil der Bläser. Fots: Martin Bernklau

Das Siegfried-Idyll in kleiner Besetzung ist als sinfonische Dichtung reine Programmmusik: ein Sonnenaufgang am Seeufer mit Vogelgesang an der Grenze vom Lyrischen zum Kitsch unter Verwendung von Leitmotiven aus der gleichnamige Oper. Zu süßlich ließ Paternostro den fast durchgehend träumerischen Liebesklang nie werden, dirigierte sanft und sparsam. Mochte er früher mehr den von Karajan erlernten energischen Gestaltungswillen gezeigt haben, ließ er seine Württembergischen Philharmoniker nun eher „laufen“, ein gewissermaßen demokratischer Stil, der besonders den späten Abbado auszeichnete und auch bei Paternostro erstaunlicherweise keine wesentlichen Abstriche an höchster rhythmischer Präzision und klanglicher Feinabstimmung mit sich brachte. Bei beiden wirkte Charisma.

Ganz leise eingeleitet, eine Besonderheit in Bruckners Sinfonik, waltete diese fast magische Einheit über die vollen eineinviertel Stunden der vier thematisch verknüpften Sätze mit dem Gipfel eines Finales, das für Wilhelm Furtwängler „das größte der Weltgeschichte“ war. Dessen berühmte Aufnahme von 1942 zeichneten schroffen Tempowechsel und harte Kontraste aus. Paternostros Interpretation war trotz aller dynamischer Extreme deutlich gleichmäßiger vielleicht sogar gelassener angelegt.

Das erste Pult der zwölf Primgeigen.

Auch einen gewissen geschmeidigen Wiener Schmelz meinte man zu hören, vor allem in den so stark besetzten Streichern (zwölf Primgeigen!). Das wuchtige Blech durfte zwar weit über einen weichen Hörnerklang hinaus ins Brassige wachsen, blieb aber selbst im dreifachen Fortissimo innerhalb der Schmerzgrenze zum Brutalen. Wunderbar die Einwürfe der Holzbläser, die wie ruhig klare, kluge Kommentare zu den anderen Orchestergruppen wirkten, manchmal wie leise Klagen und Gebete. Der Ländlerton im Scherzo glitt nie ins derb Vulgäre, wie Bruckner-Bewunderer Mahler das zuweilen absichtlich einsetzte. Die Choräle hatten erhabene Feierlichkeit, keine erdrückende Wucht. An Kraft, Energie und durchaus auch Temperament fehlte es dabei nicht. Die Fugati und Fugen, bis hin zur grandiosen Doppelfuge des Schlussatzes waren durch hohe Phrasierungskunst in ihrer Struktur und Linie immer von höchster Transparenz.

Die Klarheit der Brucknerschen Architektur mit ihren Blöcken machte diese Sinfonie zur „tönenden Kathedrale“, die das Publikum als Werk ebenso feierte wie das Orchester, seine einzelnen Instrumentengruppen und den großen, immer wieder mal elegisch abgeklärt wirkenden Roberto Paternostro.

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