Das phänomenale junge Schumann Quartett musizierte beim Kammermusikzyklus in der Reutlinger Stadthalle
REUTLINGEN. Den Namen kann und muss man sich merken. Aber das Schumann Quartett ist nicht nach dem Komponisten benannt, sondern nach den drei Brüdern Erik, Ken und Mark Schumann, deren Ensemble der Bratschist Veit Hertenstein vervollständigt. Am Dienstagabend war das Schumann Quartett zu Gast beim Kammermusikzyklus im gut besetzten kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle. Über den Nadelstreifenhosen trugen sie blaue Hemden, die nach Arbeitskittel aussahen. Durchaus ein passendes Sinnbild.
Das 2008 aufgelöste Alban Berg Quartett gehörte zur Weltspitze der Gattung – und zu den wichtigsten Lehrern und Mentoren des aus Köln stammenden Schumann Quartetts, das durchaus die Nachfolge in dieser herausragenden Position antreten könnte. Die Brüder und ihr vierter Mann haben eine Perfektion und eine Radikalität erreicht, die aufhorchen lässt. Genau für diese zugespitzte Art des Musizierens waren die passenden Werke ausgesucht; sehr anstrengende Werke auch fürs Publikum, wie Ken Schumann in seinem kleinen Schlussdank einräumte.
Das schroffe und sperrige Streichquartett f-Moll opus 95, im Jahr 1810 direkt nach der Egmont-Ouvertüre komponiert, nimmt eine Sonderstellung im Schaffen Ludwig van Beethovens ein und hat einen biografischen Hintergrund. Der abgewiesene Heiratsantrag an Therese Malfatti verdüsterte neben der nicht mehr zu verdrängenden Schwerhörigkeit die Seele des Komponisten. Es gibt klare Hinweise, dass dem verbitterten Beethoven nicht einmal an einer Publikation und öffentlichen Aufführung dieses bekenntnishaften „Quartetto serioso“ gelegen war, wobei das Attribut mehr diese Düsternis als nur den Ernst meinen dürfte. „Nie hat Beethoven lakonischer, nie knapper und härter geschrieben“, vermerkt das Programmheft. Treffender lässt es sich nicht sagen.
Schon der Beginn ist nicht einfach nur „con brio“ oder „molto energico“. Er ist regelrecht wüst. Gebändigt und gewissermaßen zivilisiert wird dieser wilde, geradezu gewalttätige musikalische Ausbruch von Wut, Zorn und Trauer nur durch die absolute technische Perfektion der vier Musiker und eine geradezu phänomenal genaue Abstimmung im Ausdruck, der Phrasierung, der Rhythmik und Dynamik, selbst der Stricharten (bei allen Vieren mussten ein paar Rosshaare der Bögen dran glauben). Und kontrastiert wird er durch schroffe Wechsel in leiseste, zarteste Passagen, die aber nur fahler, eisiger, einsamer Abglanz liebender Zärtlichkeit und Sehnsucht sind wie im Larghetto espressivo als Einleitung des finalen Rondos.
Die extremen Gegensätze spiegeln sich in dieser eigenwillig unkonventionellen Satzstruktur des Stücks. Der fünfteilige dritte Satz ist mehr als ein „grimmiges Scherzo“, in Beethovens Anweisung taucht wieder dieses „serioso“ auf, an anderer Stelle auch Begriffe wie „agitato“, „attacca“. Das herabsteigende Passacaglia-Thema des Cellos im zweiten Satz, die folgende Violinmelodie, das komprimierte Fugato: All das zeigt das Besondere an diesem Beethoven-Quartett. Der scheinbar versöhnliche Schluss in F-Dur könnte auch Resignation bedeuten, Sich-fügen – oder traurige Ironie. Das Schumann Quartett akzentuierte das in dieser rätselhaften Offenheit genau richtig.
Leoš Janáček erstes Streichquartett, 1923 entstanden, passt in diese Sphäre, arbeitet mit ähnlich wilden, extremen Kontrasten und trägt den Beinamen „Kreutzersonate“, original vom Komponisten und belegt mit einem kurzen Zitat im dritten Satz. Tatsächlich ist es ein Stück Programmmusik, eine Paraphrase auf Leo Tolstojs berühmte Eifersuchts-Novelle, die wiederum Beethovens Violinsonate mit ihrem dramatischen Kopfsatz als Hintergrund hat. Die Lehrmeister vom Alban Berg Quartett haben dieses Janáček-Quartett – in allen vier Sätzen mit „con moto“-Anweisung – in einer Referenz-Aufnahme eingespielt, die in ihrer Expressivität als Gipfel galt. Das Schumann Quartett setzt dem aber noch was drauf an wilder, ruppiger, leidenschaftlicher Ausdruckskraft, die doch kontrolliert bleibt von unglaublicher technischer Virtuosität und Genauigkeit bei jedem einzelnen Musiker.
In seinen Erläuterungen wies Ken Schumann darauf hin, dass Janáček in diesem Eifersuchtsdrama mit Tönen Tolstojs Verurteilung der scheinbar untreuen Ehefrau musikalisch konterkariert habe und sich klar auf deren Seite stelle, als der Unterdrückten, Misshandelten und Verzweifelten. Großartig, dieses Dramma per musica! Es wurde mit viel Beifall gefeiert.
Auch das abschließende Streichquartett in B-Dur opus 67 von Johannes Brahms nimmt eine Sonderstellung unter dessen Werken ein. Es hatte aber, gemessen an den Stücken zuvor, etwas Konziliantes, Versöhnliches. Brahms, in seinem Übermaß an Selbstkritik, hatte sich ja mit der Gattung schwergetan und wahnsinnig lange an seinen ersten Streichquartetten gearbeitet, bevor er sie sozusagen freigab, Dieses Quartett nun schien ihm leichter von der Hand zu gehen. In ein paar Monaten schrieb er es 1875 in Ziegelhausen am Heidelberger Neckar, dann vollends in Wien nieder.
Die rhythmischen Finessen, schon um das Polka-Thema des ersten Kopfsatzes herum, auch eine kühne Harmonik fallen dabei auf. Man mag gelegentlich auch eine gewisse Härte heraushören. Der Scherzo-Satz, der dritte, ist ein „Agitato (Allegretto ma non troppo)“ und eines der in der Literatur so raren Glanzstücke für die Bratsche, womit Veit Hertenstein auch tief zu beeindrucken verstand.
In der Dichte des Satzes zeigten sich noch einmal all die Künste der Interpreten, technisch, musikalisch und in dieser hohen, aber disziplinierten Emotionalität, dieser so kraftvollen wie sensibel zarten Intensität – von der Polka über die Idylle bis zum Choral (im zweiten Satz). Die Zuhörer feierten dieses großartige Ensemble und wurden zum Dank bedacht mit einer Streichquartettfassung, die der von Johann Sebastian Bachs kontrapunktischen Künsten tief beeindruckte Mozart – neben vier weiteren – von der E-Dur-Fuge aus dem zweiten Band des Wohltemperierten Klaviers fertigte.