Kino

„Münter & Kandinsky“ – Liebende, Leidende

Im Tübinger Kino Blaue Brücke und im Reutlinger Kamino läuft das gewissenhafte Künstler-Biopic von Markus O. Rosenmüller und Alice Brauner

TÜBINGEN / REUTLINGEN. Unerbittliches Pochen: Vor dem „Russenhaus“ in Murnau steht die Gestapo mit einem Nazi-Kunstfunktionär. Aber Gabriele Münter, die Künstlerin in ihren Sechzigern hat die „entarteten“ Bilder ihrer Freunde von „Blauen Reiter“ und ihres verflossenen Geliebten Wassily Kandisky, des treulos schäbigen Lebensgefährten über 14 Jahre, rechtzeitig in Sicherheit gebracht.

Regisseur Marcus O. Rosenmüller – nicht zu verwechseln mit dem fast namensgleichen Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt, ist länger tot“) – hat mit Drehbuchautorin und Koproduzentin Alice Brauner, Tochter der Produzenten-Legende Artur „Atze“ Brauner, ein Biopic über die so fatale und so fruchtbare – heute nennt man das toxisch – Beziehung dieses Künstlerpaars gedreht.

Der Film versucht, so nah wie möglich an der recht gut überlieferten Wirklichkeit zu bleiben – und das ist seine Stärke und seine Schwäche zugleich. Dort über dem bayerischen Murnau am Staffelsee spielte sich ein entscheidendes Stück Kunstgeschichte ab, wo vor dem Ersten Weltkrieg in Münters Haus am Hang nicht nur Kandinsky, sondern auch Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky lebten und arbeiteten, Paul Klee, August Macke und Franz Marc verkehrten, kam der Expressionismus des „Blauen Reiter“ zu einem unvergleichlichen Höhepunkt, und dort wurde Kandinsky zum wohl wichtigsten Wegbereiter der abstrakten Kunst.

Der Russe, studierter Jurist und Ökonom aus reichem Moskauer Haus, war als Autodidakt in München zu einem gefragten Kunst-Professor seiner privaten Akademie „Phalanx“ geworden und hatte dort die elf Jahre jüngere, hochbegabte und eigensinnige Gabriele Münter, ebenfalls aus betuchtem Elternhaus, zu seiner Schülerin und schnell zur Geliebten genommen.

Trotz der von Beginn an hochdramatischen Liebesgeschichte – Kandinsky ist mit seiner Jugendfreundin und Cousine verheiratet – wirkt der Film zunächst ein wenig stationenhaft gründlich und nüchtern. Die getreue Reportage scheint vor jedem Pathos, jeder Melodramatik oder auch nur psychologischer Tiefe zu rangieren. Dabei ist visuell viel los. Namche Okons Kamera bevorzugt heftige Bewegungen, extreme Nahaufnahmen, ungewöhnlich Perspektiven bis hin zu echtem Kippen in die Schräge bei schnellen Schnitten.

Die Sexszene auf dem Bootssteg am Staffelsee, gegengeschnitten mit Kandinskys traumatischer Traumvision von der Trennung seiner Eltern auf der Gondel im Wasser von Venedig, ist sehr originell in wilden Nahaufnahmen inszeniert. Aber die filmischen Mittel wirken oft nicht wirklich dramaturgisch begründet und sinnfällig eingesetzt. Der Soundtrack hält sich, wie überhaupt, auch bei den Liebesszenen nicht zurück.

Vielleicht liegt die eigenartig ruhige Sachlichkeit der Filmerzählung auch an Hauptdarstellerin Vanessa Loibl, deren Figur sich bis zum letzten Drittel hin, wo es beim Besuch von Kandinskys Anwalt zu einem heftigen Wutausbruch kommt, kaum entwickelt. Die etwas mädelige Stimme trägt auch zu einer gewissen statischen Zeichnung ihrer Gabriele Münter bei. Den Stolz und Eigensinn dieser Frau und Künstlerin macht sie aber spürbar. Etwas unklar bleiben die intriganten zerstörerischen Anteile ihrer Persönlichkeit, die nicht nur die Beziehung, sondern auch den Freundeskreis des Blauen Reuters immer wieder irritierten, beeinträchtigten und vielleicht sogar zerstörten. Der Zornanfall der um ihre Lebensliebe und Lebensmitte so schmählich Betrogenen ist hingegen nicht gar so schwer zu spielen und krachend inszenniert.

Vladimir Burlakov kann sich als unzuverlässiger, letztlich bindungsunfähiger und unsicherer Kandinsky, der als Künstler und Theoretiker von charismatischer Kraft strotzte, in all seinen Widersprüchen und Schwächen etwas mehr entfalten und entwickeln, nicht nur äußerlich mit allmählich blonderem Haar und abrasiertem Bart.

Hätte sich diese Liebesgeschichte vielleicht auch melodramatischer und mit mehr psychologischer Tiefe darstellen lassen, so vermittelt sie doch ein sehr plastische Zeitbilder einer Epoche der Umbrüche und viele Einblicke in eine eminent wichtige Episode der neueren Kunstgeschichte. Das ist wahrhaftig wertzuschätzen.

Gabriele „Ella“ Münters „Russenhaus“ bei Murnau am Staffelsee, heute Museum. Foto: Martin Bernklau

Die vor den Nazis geretteten Bilder ihres Geliebten und vieler Blauer Reiter-Künstler, ihrer Freunde, überließ Gabriele Münter zu ihrem 80. Geburtstag übrigens dem Münchener Lenbach-Haus, wo sie den Kernbestand einer der bedeutendsten Sammlungen expressionistischer Kunst bilden. Das Murnauer „Russenhaus“ bewohnte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1962 mit ihrem späten Gefährten Johannes Eichner.

Click to comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

To Top