Kino

„Alter weißer Mann“ – Zwischen Kritik und Klamotte

In den Tübinger und Reutlinger Kinos ist Simon Verhoevens köstliche Komödie über den woken Zeitgeist mit Jan Josef Liefers angelaufen

TÜBINGEN/REUTLINGEN. Die selbstgerechte Verbissenheit mancher woker Blockwarte und Sprachpolizisten, aber auch vieler ihrer Kritiker ist schon sehr ausgeprägt. Ob sie soviel Selbstironie aufbringen, um über Simon Verhoevens Komödie „Alter weißer Mann“ mit Jan Josef Liefers frei und herzhaft lachen zu können? Wir hoffen es mal. Der furios inszenierte Film hat jedenfalls hat ein Potential, das fast an Doris Dörries „Männer“ erinnert. Federleicht tanzt er über vermintes Gelände.

Die wirkliche Welt zwischen Gaza und Ukraine ist ja schlimm genug. Doch auch der Zeitgeist einer in so Vielem so tief gespaltenen Gesellschaft ist womöglich in einem solch bedenklichen Zustand, dass ihm vielleicht – nach Dürrenmatt – „nur noch mit der Komödie beizukommen“ ist.

Mit dem über die Prärie reitenden Indianer fängt es an, mit dem sich Jan Josef Liefers als Marketing-Mann und Familienvater Heinz Hellmann in kindliche Winnetou-Zeiten zurückträumt und schreckerfüllt erwacht, schon weil das Wort längst streng verboten ist, der Stress im Job – einer politisch nicht ganz korrekten Kampagne droht ein Shitstorm – ganz heftig und auch die Ehe mit Clara am Kriseln ist, von dem in vielerlei Hinsicht gefährlich alternden Vater (Friedrich von Thun, herausragend unter durchweg ausgezeichneten Schauspielern) und den drei Kindern im brisantesten Jugendalter mal ganz abgesehen.

Da will man es allen recht machen und lässt öko-korrekte Solarpaneele auf dem Dach des Hauses installieren – allerdings von Schwarzarbeitern, was nicht nur einen unversicherten Brand auslöst, sondern von der Tochter wegen der vermeintlichen Wortherkunft auch als verboten rassistischer Begriff gebrandmarkt wird. Irgendwelche vom alten Freund und persönlichen Arzt empfohlenen gesundheitsbewussten Aktienoptionen rauschen auch noch in den Keller und gehen als Investment übel in die Hose.

So geht das mit erstaunlicher Aktualität (Trump etwa oder die just in Kraft getretene Gleichstellung aller denkbaren Geschlechter, Islamismus und Judenhass, die nicht beim Namen genannte AfD, Krypto-Währungen oder Chancen und Gefahren der KI/AI) quer durch den Gemüsegarten der Gegenwart und des woken Zeitgeistes oder auch seiner Gegner, die ihr liebenswürdiges Sprachrohr im Opa finden, der sich seinerzeit als linker Student im Kampf gegen Faschisten und alte Nazis jeder Art verprügeln lassen musste, jetzt aber vor allem als überalterter Autofahrer zu einer echten Gefahr wird.

Papa Hellmich (Jan Josef Liefers)landet lädiert auf einer Berliner Straßeninsel. Fotos: Verleih

Die Handlung ist so überdreht und zugespitzt wie die Probleme und Debatten in diesem Wohlstands-Milieu, aber irgendwie doch ständig ganz nah am wirklichen Leben und Streiten. Der Erzkomödiant Jan Josef Liefers lässt sich vom Autor und Regisseur Simon Verhoeven vielleicht etwas heftig in die nicht ganz chaplineske Rolle eines hektischen Schussels und verwuschelten Tollpatschs stecken. Beim Spontanbesuch in Berlin bei der Ältesten, die etwas vom Studium in die Club-Szene abgedriftet ist, bringt ihm die so hippe wie diverse wie auch rechts-gefährdete Clique immerhin bei: „Du darfst dich jedenfalls nicht vom Staat ficken lassen. Am Ende geht es immer um Freiheit“ (oder so ähnlich).

Die rundum turbulente Plot um Firma, Familie, Freundeskreis und Szene, sehr professionell und mit allerlei filmisch modernen Kniffen inszeniert, gipfelt in einem (etwas konstruierten, hyper-korrekt diversen) Dinner für die Chefs samt deren (KI-) Beratern und für das bunte Umfeld der Familie mit allerlei überraschenden Wendungen: Zugespitzt und konzentriert mit köstlicher Situationskomik und pointiertem Wortwitz. Das versöhnliche Happy End hat seinerseits auch schon wieder etwas viel missionarische Message, aber das darf dann so sein.

Mit manchen fanatisch Überzeugten aller Seiten von heute mag womöglich so wenig zu spaßen sein wie einst mit den echten Nazis oder den humorfreien Oberindianern der DDR. Simon Verhoeven steht aber eigentlich nicht im Verdacht, seine satirisch komödiantische Kritik an der Wokeness von rechts her in Stellung zu bringen, stammt er doch aus einer gesichert und gefestigt links-alternativen Familie mit Mutter Senta Berger und seinem jüngst verstorbenen Vater, dem Regisseur Michael Verhoeven („Sophie Scholl“), dem er seinen Film noch gewidmet hat.

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