Der Kammerchor Ensemble Horizons gestaltete in der Tübinger Stiftskirche eine eindrückliche Motette „Gegen den Krieg“
TÜBINGEN. Der Trost kam vorab, mit Mendelssohn. Dann gestaltete Matthias Klosinskis Kammerchor Horizons seine Motette „Gegen den Krieg“ am Samstagabend in der Tübinger Stiftskirche im Gestus nicht einfach als Bitte, sondern als bedrückendes Flehen, als Klage, Anklage, ja Protest. Und das auf einem klanglichen Niveau, das seinesgleichen sucht. Mit modernen Werken, die, teils kaum irgendwo zu hören, ihrer Entdeckung allemal wert waren.

„Denn er hat seinen Engeln befohlen“ aus Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“ ist nicht nur eines der schönsten Chorstücke überhaupt, sondern mit seinem Schutzversprechen sicher auch eines der ergreifendsten. Die wunderbar weiche, ja sanfte Stimmführung in einer äußerst geschmackssicheren Agogik von Dehnen und Straffen, vom Aufblühen zum Verschlanken in ätherische Zartheit steigerte diese Intensität ins traumhaft Jenseitige.
Dann kam das Gegenteil mit Hanns Eislers „Gegen den Krieg“ nach den donnernden und messerscharf schneidenden Worten Bert Brechts. Ein krasser Bruch: Diesem harten Grundton von Widerstand, Protest und Appell nach diesem überirdischen Schweben noch die hohe Stimmkultur abzugewinnen, die den Kammerchor auszeichnet, gelang ganz schnell und eindrucksvoll gleich mit dem Unisono, das den Variationen ihr Thema vorgibt.
Das durchkomponierte Stück ist reich an dissonanter Harmonik und vielfältigen Rhythmen, sehr rhetorisch und plastisch geformt in seinen Kontrasten, bewahrt dabei aber eine gewisse Übersichtlichkeit. Die erste Fassung ist 1936 entstanden und kann deshalb als hellsichtige Warnung und Mahnung vor dem kommenden Unheil des Hitler-Krieges gelten.
Nicht nur als proletarisch-kommunistischer Komponist fühlte sich Hanns Eisler (1898 bis 1962), Schöpfer der DDR-Nationalhymne, einer gewissen Zugänglichkeit verpflichtet, als Österreicher, als Wiener blieb der Schönberg-Schüler auch den Traditionen verbunden. Er wollte die Zwölftontechnik „vom Kopf auf die Füße stellen“, als angewandte Kunst. Experimentelle esoterische Avantgarde wäre nie infrage gekommen für ihn.
Das Stück ist in der Spannbreite seiner Ausdrucksformen extrem fordernd, zumal a cappella ohne irgendeine Stütze. Da hatte jede einzelne Stimme über die Proben hinaus viel zu üben gehabt (was auch für die folgenden Stücke galt). Ein paar winzige Unsicherheiten wurden schnell ausgebügelt. „Dieser Krieg ist nicht unser Krieg“, heißt der fugierte Schlusssatz, dem über dem Wort „Rauch“ ein Pianissimo voranging, das von geradezu penetrant aggressiven Querständen attackiert wurde. Ein großes, machtvoll protestierendes Finale.
Eine „Elegie“ hat der Schwede Thomas Jennefelt (*1954), ganz am Gesang, auch an der alten Vokalmusik orientiert, ohne einen Text seinen „Gesängen am ersten Abend des Krieges“ als Nr. III beigefügt. Sie beginnt mit einem Ton, den wie ein langsamer Triller chromatische Vorhalte von oben umspielen, was ein gewisses Schwingen oder Beben des Klangs bewirkt. Strukturierte Flächen wechseln mit klopfenden Toneinwürfen oder verhaltenem Summen ab. In Akkorden fanden sich die Einzelstimmen wieder. Es ist eine Art sprachloses Artikulieren, das fast in Richtung einer plastischen Bildhaftigkeit geht, ohne schon Programmmusik zu werden. Sehr suggestiv, sehr eindrücklich unter dem so präzisen wie dezenten Dirigat von Matthias Klosinski.
„Wie liegt die Stadt so wüst“, die Trauermotette nach Klageliedern Jeremiae, dürfte das bekannteste Werk des Dresdner Kreuzkantors Rudolf Mauersberger (!889 bis 1971) sein, das er angesichts seiner am 13. Februar 1945 von britischen Bomben in Schutt und Asche gelegten Heimatstadt komponierte. Erweitert tonal, in der Tradition lutherisch-protestantischer Sakralmusik mitten im katholischen Sachsen, hat der langjährige Leiter des Kreuzchors, eines Knabenchors – zunächst schwer durch Nazi-Nähe als Parteigenosse und Mitglied der „Deutschen Christen“ kontaminiert, später aber glaubhaft widerständig – damit direkt nach Kriegsende auch eine Art persönliches Sühnestück geschaffen, das der Chor sehr plastisch und emotionsstark wiedergab.
„Die Versuchung Jesu“, Tagestext zum ersten Fastensonntag Invocavit, hat der nicht unbedeutende und vielfältig wirkende Schweizer Komponist Adolf Brunner (1901 bis 1992) ebenfalls im letzten Weltkriegsjahr 1945 geschaffen. Im filigran polyphonen Satz des Beginns hört man die Nähe zur französischen „Groupe des Six“ heraus. Der vierstimmig durchkomponierte Matthäus-Bibeltext war wunderbar deklamiert, konnte sich zu großem Klang bis in reine Dur- oder Mollakkorde auftürmen und maßvoll dissonant an der Sprache entlang fließen, makellos und großartig geschlossen in Klang gesetzt.
Höchst originell ist Wolfram Buchenbergs „Als vil gote, als vil in vride“. Der 1962 im katholischen Allgäu geborene und dort aufgewachsene Schulmusiker, inzwischen vielfach ausgezeichneter Kompositionsprofessor in München, hat den mystischen mittelalterlichen Friedenstext des Meister Eckhart (1260 bis 1328) in seiner mittelhochdeutschen Originalgestalt in Töne gesetzt, die in ihren Abschnitten eine Fülle von Stilelementen zwischen Gregorianik, bewegten Clusterflächen, seriellen Anspielungen, dissonant angeschärften tonalen Akkorden und hauchfein schwebenden Sphärentönen ausbreiten. Auch das wieder ein tief beeindruckendes Klanggemälde von höchster Ausdruckskraft.

Als Abschluss erklang nach dem Segen „Das Vaterunser“ von Rudolf Mauersberger, in Ruhe bewegt und sehr traditionell tonal gehalten, mit einem sehr schönen Soloalt von Leonie Volle als Führungsstimme. Die erbetene Stille hielt das Publikum in einer ungewöhnlich gut besetzten Stiftskirche dann doch nur für eine runde Minute durch und brach danach in begeisterten Beifall aus. Verdient war der! Ganz gewiss. Mehr als verdient sogar.
