Am Samstag sind die 44. Herbstlichen Musiktage Bad Urach zu Ende gegangen – eine kleine Rückschau.
BAD URACH. Seit 1977 lockt dieses ländliche Musikfestival eine mittlerweile betagte, aber treue Anhängerschar aus halb Europa und neue Zuhörer in die Konzert-Locations am Fuße der Alb. Seiner Historie als Residenz (von Graf Eberhard I. „im Bart“, der 1477 die Tübinger Universität gründete) verdankt Bad Urach die Stiftskirche und das Residenzschloss, in deren besonderem Ambiente lange Zeit die Konzerte stattfanden. Zum Bedauern aller ist das Schloss seit Jahren aus Brandschutz- und Umbaugründen nicht zugänglich; dafür bewährt sich alljährlich der aparte Kammermusiksaal unterm Dach der Schlossmühle. Des weiteren wurde im Vorjahr die städtische Jugendstil-Festhalle renoviert und mit einem Foyer-Anbau versehen, so dass Künstler und Publikum nunmehr komfortabler untergebracht sind als früher.
Den Anstoß zu den Musiktagen gab 1977 der bekannte Bariton Hermann Prey, der damals ein Festival mit Musik von Franz Schubert plante, woraus auch die Schubertiade Hohenems erwuchs; Enthusiasten im Ermstal etablierten etwa gleichzeitig die „Herbstlichen Musiktage“, die künstlerische Leitung übernahm Hermann Prey. Seit dessen Tod im Jahr 1998 führt sein Sohn Florian Prey die Musiktage weiter. Sein Augenmerk gilt dem Ziel, den Kern der Programme – die menschliche Stimme – weiter zu pflegen und sie für neue Tendenzen und für ein breiteres Publikum zu öffnen.

Während früher das Bad Uracher Festival nicht nur mit namhaften Interpreten, sondern auch mit der Aufführung von Schubert-Entdeckungen von sich reden machte (der SWR ist nach wie vor dabei), setzte es in den Vorjahren neue Akzente z. B. mit Auftritten des „Stegreif-Orchesters Berlin“, das klassische Werke improvisiert und in Bewegung umsetzt. Zunehmend betätigt sich Florian Prey nicht nur als Sänger, sondern auch als Komponist und lässt das Publikum an Erstaufführungen seiner Lieder teilhaben.
Die Corona-Jahre schränkten auch die HMT-Aktivitäten ein, doch Florian Prey und Thomas Braun, Kulturamtsleiter und Mit-Organisator, gelang es, sie unter Einhaltung aller Vorschriften weiterzuführen. Was dieser Zeit zum Opfer fiel, ist der Meisterkurs Gesang; zuvor konnte das Festivalpublikum in öffentlichen Proben die internationalen Größen des Liedgesangs dabei beobachten, wie sie jungen Sänger/innen Technik und Ausdruck nahebrachten. Was vom Rahmenprogramm blieb, sind Kinderkonzert und musikalisches Abendessen.
Diesen Herbst standen die Musiktage unter dem Motto „Modulationen“, das aber nur im Klavierabend von Sophie Pacini explizit aufgegriffen wurde. Der Eröffnungsabend entsprach der HMT-Tradition mit Festredner und hochkarätiger Musik-Umrahmung. Letztere besorgte mit makellosem Chorgesang der Chamber Choir of Europe unter Leitung von Tristan Meister, teils a cappella, teils mit Klavier. Neben Brahms‘ 18 Liebeslieder-Walzern op. 52 erklangen Vokalwerke von Berger, Florian Prey, Lili Boulanger und Fanny Hensel. Die Botschaft des Festvortrags von Claus Biegert („wir alle sind Teil der Natur“) fand allerdings keinen ungeteilten Beifall.
Der obligatorische Liederabend von Florian Prey und Florian Uhlig am Klavier am Samstagabend unter dem Titel „Ständchen – Liebeslieder“ bot neben einem interessanten Strauß bekannter und unbekannter Lieder der Romantik auch Neuvertonungen von Gedichten der amerikanischen Lyrikerin Sara Teasdale durch Florian Prey selbst. Er hat den Mut, angesichts des riesigen Liedrepertoires aus älterer und neuerer Zeit seinen eigenen Weg zu gehen – stets dicht am Wort, traditionsbewusst und innovativ zugleich.

Einen Höhepunkt bildete auch diesmal das Kirchenkonzert. Das Bach Consort Leipzig und das Sächsische Barockorchester führten unter Leitung von Gotthold Schwarz sechs verschiedene Magnificat-Kompositionen auf; ursprünglich geplant war dies zum 500-jährigen Jubiläum der Magnificat-Übersetzung von Martin Luther („Meine Seel‘ erhebt den Herrn“) und war wegen Corona verschoben worden. Der Kammerchor und die „historisch“ musizierenden Instrumentalisten überzeugten mit einer so perfekten wie geistig durchdrungenen Interpretation der Vertonungen von Schütz, Krebs, Telemann, Eccard, Johann Christian und Johann Sebastian Bach.
Seit dem vorigen Jahr gibt es ein „Konzert der Freunde“ in der Marienkirche Upfingen, zwar etwas abseits auf der Alb, doch in familiärem Ambiente. Bei den „Freunden“ handelt es sich zum einen den Unterstützerverein der Herbstlichen Musiktage, der dieses Konzert veranstaltet, zum andern um Musiker aus dem Umkreis von Florian Prey, die mit ihm zusammen barocke Kantaten und Kammermusik einstudieren. Als geradezu amüsant entpuppten sich Telemanns „moralische Kantaten“: Ihr scherzhafter Duktus wurde durch Florian Prey komödiantisch-kongenial umgesetzt: „Das Glück“ ist gern abwesend, „Die Falschheit“ eine verbreitete Haltung der Mitwelt, von der man sich entrüstet distanziert.
Neu im Programm war dieses Jahr die Jazz-Komponente, verkörpert durch das Franz-David Baumann Quintett. Es übernahm nicht nur das Kinderkonzert am Mittwochvormittag, sondern auch eine Jazz-Session am selben Abend im Gewölbe des Bad Uracher Stifts. „Es swingt in den Tiefen des Kellers“, titelte die Presse.

Nicht ganz das Niveau früherer Kammermusikabende erreichte am Donnerstag der Auftritt des Ensembles „Isura“ (wie Isar) aus Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters. Zwar bewiesen die Streicher sensible Musikalität, wurden jedoch immer wieder ins Fahrwasser des Pianisten gezogen, dessen undifferenziertes Spiel das Ganze prägte. Zu hören war Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44 und Franz Schuberts Quintett A-Dur (D 667), bekannt als „Forellenquintett“.

Der Freitagabend brachte eine Attraktion, nämlich die Pianistin Sophie Pacini; der Saal in der Schlossmühle war ausverkauft. Seltsam nur, dass sie großteils das gleiche Programm spielte wie hier vor drei Jahren, nämlich die Klavierbearbeitung der „Tannhäuser“-Ouvertüre von Liszt, Auszüge aus dessen „Consolations“ und mehreres von Chopin. Neu war diesmal nur Beethovens „Waldstein“-Sonate, die dem diesjährigen HMT-Motto „Modulationen“ Rechnung trug. Sophie Pacini ging weiter als 2021: Sie betont nun die dynamischen Kontraste in extremer Weise, und dies mit soviel Temperament, Spielwut und Kraft, dass die Werke teilweise wie fragmentiert scheinen. Ihr „moderner“ Chopin ist „kantig real“, wie sie sagt. Dass sie aber immer noch weichen Anschlag und zarte Farben „kann“, ließ sie zwischendurch anklingen.
Den Abschluss am Samstagabend bildete eine programmatische Neuerung, nämlich den Auftritt der Singer-Songwriterin Wilhelmine in der Festhalle unter dem Titel „Bewegende Gefühle“. Welch starke Resonanz schon die Ankündigung fand, war daran abzulesen, dass der Abend rasch ausverkauft war. Ob das Publikum der jungen Berliner Popmusikerin später den Weg in die „klassischen“ Konzerte der Herbstlichen Musiktage Bad Urach findet, steht auf einem andern Blatt – etwa in das Konzert der Regensburger Domspatzen am 21. Dezember 2024, das die Musiktage diesmal in die Weihnachtszeit hinein verlängert.
(Weitere Fotos später)
