Kammermusik mit Roman Simovic und dem fantastischen Pianisten Andrey Gugnin eröffnet die Tübinger Saison
TÜBINGEN. Dieses Duo hätte wirklich mehr verdient gehabt. Aber es war zu befürchten: Kammermusik zieht nicht mehr so. Zur Eröffnung der Saison von Kulturreferat und Museumsgesellschaft blieb der Festsaal der Universität am Donnerstagabend allenfalls halbvoll. Da half auch die Tolstoi-Aura um Beethovens „Kreutzer-Sonate“ nicht ab und nicht die Stradivari, die Roman Simovic, Konzertmeister des London Symphony, spielen darf.

Das abschätzige Verdikt eines Neoklassizisten bekam Igor Strawinsky (1882 bis 1971) vom Theoretiker Theodor W. Adorno wohl vor allem deshalb verpasst, weil er sich der Dogmatik einer Wiener Zwölftonschule lächelnd verweigerte. Die im Jahr 1925 und in zweiter Fassung 1933 aus Ballettstücken der „Pulcinella“ zusammengestellte „Suite Italienne“ für Violine und Klavier ist ein wunderbares Beispiel für Strawinskys kreative Offenheit auch gegenüber der Tradition. Das ein paar Jahre zuvor geschaffene Ballett war der Musik des jung gestorbenen Barockgenies Giovanni Battista Pergolesi (1710 bis 1736) gewidmet. Die Themen der fünfeinhalb, sechseinhalb Sätze stammen aber wohl überwiegend von dessen Zeitgenossen Domenico Gallo.

Mit dem festlich-sanglichen, aber doch klaren und kitschfreien Ton seiner Einleitung nahm Roman Simovic sofort für sich ein. Das zwar aus dem Unterarm (statt dem Handgelenk) kommende und trotzdem nie hochfrequent zitternde Vibrato setzte er so sparsam wie klug ein. Sein Klavierpartner zeigte gleich eine perlende Geläufigkeit, forcierte das Leichte in seinem dialogisch ausgerichteten Spiel aber kaum je zu solistisch eitler Brillanz. Die alten Tanzformen von der verspielten, nie fiebrig überdrehte neapolitanische Tarantella über die Gavotte-Variationen oder das Menuett, hatten alle ein klassisches Maß, auch wenn natürlich immer wieder Strawinskys Personalstil mit seiner ganzen motorischen Energie anklang. Ob präzise Läufe, Doppelgriffe oder Pizzicati mit der Griffhand: Simovic gab den technischen Schwierigkeiten eine souverän beiläufige Selbstverständlichkeit.

Auch die langsame Einleitung zu Ludwig van Beethovens aus vielerlei Gründen – auch als Hintergrund für Tolstois grandiose Eifersuchts-Erzählung – berühmter „Kreutzer-Sonate“ Nr. 9, A-Dur, opus 47, kam ganz ohne Pathos aus. Im Jahr 1803 geschrieben gilt sie zwar auch als ein Schlüsselwerk für Beethovens Erweiterung der Klassik mit romantischen Elementen. Das entscheidende Kennzeichen dürfte aber der Begriff des Kontrastes sein: zwischen Klavier und Streichinstrument, zwischen Laut und Leise, zarter Melodik und wilder Straffung, männlichen und weiblichen Themen, Innerlichkeit und Ausbruch, langsamen und rasenden Passagen – selbst im Variationssatz des Andante, das gegenüber dem suggestiv emotionalen Kopfsatz (da brandete langer Szenenapplaus auf, den das Tübinger Publikum früher sofort niedergezischt hätte) nur scheinbar eine Beruhigung darstellt.
Das war alles sehr durchdacht, was das Duo dem Werk angedeihen ließ. Expressiv genug, auch mit viel Agogik und fein abgestimmten Ritardandi oder Straffungen, mit klarer, auch mal sehr kraftvoller und immer vollkommen reiner Tongebung in der Violinstimme und genau dosiertem Anschlag am Flügel. Weder überbordendes Gefühl noch demonstrative Virtuosität verstellten den Blick auf die Musik. Ungeheuer flott war der Galopp des Finales, aber beide Musiker gaben den rasenden Läufen, für die in den Couplets oder Intermezzi immer wieder Atem geholt und Anlauf genommen wurde, durch hauchfeine Impulse phrasierende Struktur. Wunderbar war das und wurde mit langem Beifall bedacht.
Eine vergleichbar markante Stellung im Werk nimmt bei Richard Strauss (1864 bis 1949) seine frühe Sonate in Es-Dur opus 18 ein. Der Hochbegabte hatte ganz sicher schon die Oper in seinem Visier, aber er wählte das geschützte Nischenrevier der Kammermusik, um zu zeigen, was er kann und wohin er will. Der junge Strauss zeigte geradezu übermütig, wie er mit seinen melodischen Erfindungen, mit einer Überfülle von Themen und Motiven jonglieren kann und nebenbei auch noch kontrapunktische Kunststücke im kühn bis fast schon frech erweiterten Rahmen tradierter Formen unterbringen kann.
Er treibt die Harmonik auf Wagners, weit weniger der Brahms’schen Basis noch ein bisschen weiter in Farbnuancen und lässt dabei aufscheinen, was ihn später gerade in der Oper auzeichnen sollte: eine „psychologische“, klangliche und atmosphärische Feinzeichnung ohnegleichen. Genau das war bei beiden Musikern in den denkbar besten Händen. Sie zelebrierten es eher klar als flirrend schwelgerisch, in allen Sätzen, wobei sich der Pianist schon einer gewissen Tastenlastigkeit des Satzes erfreuen durfte.
Den großen zirzensischen Glamour hatte Roman Simovic im Duo als sozusagen erster zweier Solisten sowieso zu keiner Zeit im Sinn. Aber das Publikum spürte die allerhöchste Qualität wie den tiefen Ernst bei beiden Musikern genau und erklatschte sich mit seinen nicht ganz so vielen Händen doch die verträumte Zugabe von Claude Debussys „Beau Soir“.
