Musik

Kammermusik RT – Zwei Spieler, zwei Seiten, zwei Hälften

Im kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle musizierte das Klavierduo GrauSchumacher Schubert und Strawinsky

REUTLINGEN. Es war ein Heimspiel für das Piano-Duo Andreas Grau und Götz Schumacher, das seit nunmehr 43 Jahren zusammenspielt und seit Langem zur Weltspitze dieses exquisiten Genres zählt. Im fast vollbesetzten Kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle hätte man nach der ersten Hälfte mit Schuberts „Grand Duo“ denken können: Sie haben ihren Zenit überschritten. Aber dann kam ein furioses „Sacre du printemps“, jenes epochale Ballett, mit dessen Orchesterfassung Igor Strawinsky 1913 den wohl größten Skandal der Musikgeschichte auslöste.

Im „Théatre du Champs-Elysées“ zu Paris wurde an jenem 29. Mai – fast schon am Vorabend des Weltkriegs – gejohlt, geschrien und gepfiffen, wurden Tierlaute nachgemacht, sogar Prügeleien angezettelt, als wäre ein handfester Kulturkrieg ausgebrochen, nachdem „Ballets russes“-Impressario Sergej Dhiagilew zur Choreografie von Vaslav Nijinsky den Dirigenten Pierre Monteux eine Musik anstimmen ließ, die keine mehr war.

Das Piano-Duo Andreas Grau (links) und Götz Schumacher. Fotos: Martin Bernklau

Selbst Claude Debussy, der mit dem „Nachmittag eines Fauns“ ein ähnlich revolutionär bahnbrechendes Werk geschrieben hatte, lästerte über das monumental besetzte Orchesterstück seines durchaus befreundeten Kollegen Igor Strawinsky von einem „Massacre du printemps“. Die Klavierduo-Fassung, die natürlich nur einen Teil dieses archaischen Orchester-Orgasmus nachbilden kann, verfasste der russische Komponist in einer Zeit ohne Tonträger wohl zur besseren Verbreitung des Stücks.

Aber zurück zum Konzert, das am Freitagabend im 50. Jahr des Reutlinger Kammermusikzyklus die einstigen Schüler des aktuellen Intendanten Friedemann Rieger gaben. Franz Schuberts nachgelassenes „Grand Duo“ (Sonate C-Dur opus posthumum D 812), das zum Standard des Genres gehört und oft als verkappte Sinfonie oder eine Skizze dazu beargwöhnt wurde, haben Andreas Grau und Götz Schumacher gewiss schon hunderte Male musiziert und vor fast zwei Jahrzehnten auch auf einer stilbildenden CD eingespielt.

Aber an diesem Abend schien da der Wurm drin oder eine schlechte Tagesform erwischt, vor allem bei Andreas Grau, der auf der rechten, der oberen Seite der gemeinsamen Steinway-Tastatur spielte. Graus Anschlag wirkte matt statt kristallin glitzernd oder zart, die Abstimmung mit dem solideren, präziseren und mit einer gewissen Verzweiflung tonangebenden Götz Schumacher wurde über alle vier Sätze des „Grand Duo“ nie wirklich einvernehmlich oder gar perfekt, es gab sogar allerhand kleinere Patzer, die niemand übelgenommen hätte, wäre so etwas wie eine Aura, ein Charisma, ein Leuchten um diese Deutung entstanden.

Tat es aber nicht, auch wenn die Routine eines jahrzehntelange Zusammenspiels Vieles auffangen konnte, die Läufe und Gegenläufe schon einigermaßen saßen und manche Dialoge und Echos doch ganz plastisch gelangen. Aber der Ausdruck wirkte – bei aller Substanz an Kraft und Klangpalette – bemüht und angestrengt. Große Bögen von Melodien und ihrer Phrasierung entstanden gar nicht erst oder stürzten unvermittelt ein wie eine Elbe-Brücke in Dresden. Der Beifall blieb, auch vonseiten der heimischen Fans, von denen, wie von den Kennern, ein paar etwas enttäuscht gewesen sein dürften, eher verhalten freundlich.

Ein paar dieser Ungenauigkeiten und Abstimmungsschwächen ragten noch einige Passagen weit hinein in „Le Sacre du printemps“, das ja nicht nur eine ekstatisch heidnische Feier des russischen Frühlings ist, Wettkampf der Generationen und Stämme, sondern auch der traurige und angsterfüllte Opfergang und Todestanz für eine Jungfrau. Manche Finesse und Delikatesse fehlte zunächst noch. Aber dann schien die Suggestion dieser archaischen Ekstase die beiden Pianisten immer mehr zu erfassen. Da glitzerten plötzlich die Peitschen-Glissandi, die im Orchester den Piccoloflöten zugedacht sind.

Erst verhaltener Beifall, später Ovationen für das Duo GrauSchumacher. Fotos: Martin Bernklau

Die hochvirtuosen Übergriffe zwischen den vier Händen schienen nicht mehr zu bremsen, die motorischen Bässe bauten immer mehr an bedrohlicher oder rauschhafter Intensität auf, die Takt, Gewalt, Kraft und allmähliche Trance dieser archaischen Feier vorgeben. Das gab dann Jubel beim Publikum, Bravorufe und teils stehende Ovationen.

Das Duo bedankte sich mit einem Debussy und einem kleinen Walzer von Wolfgang Rihm (mit dem das Duo viel zusammengearbeitet hat und der dieses Jahr gestorben ist), in dem er den Franzosen von Erik Satie bis Debussy und Ravel und dem Wahl-Pariser Igor Strawinsky und seinen motorischen Repetitionen als Stil-Hommage seine kollegiale Hochachtung erweist.

Das Duo GrauSchumacher tritt am heutigen Samstag gemeinsam mit dem jüngeren, vielleicht frischeren Formation Yseult Josta-Domingos Costa (sowie dem Schauspieler Johann Michael Schneider) um 17 Uhr zu einem Familienkonzert („Edgars Kinderkonzerterlebnis“, ab fünf Jahren) im Reutlinger Spitalhofsaal und anschließend daselbst um 18.30 Uhr zu einem Gesprächskonzert auf.

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