Bühne

LTT-Werkstatt – Forever Punk!

In der Werkstatt schreibt das Tübinger Landestheaters die Geschichte des Punk vom Dorf aus nach

TÜBINGEN. Ausgeheckt haben den Spaß Hausregisseur Dominik Günther und Ausstatterin Sandra Fox: die Geschichte des Punk, des deutschen Punk, des Punk vom Land zu erzählen. Günther hat „Dorfpunks“, den 2004 erschienenen Roman von Rocko Schamoni, mit dem Zusatz „im Dreierpack“, für die Bühne bearbeitet. Am Samstagabend war in einer ausverkauften LTT-Werkstatt Premiere. Zwar mag der Punk längst mausetot sein, aber da ist eine fantastisch frische, höchst lebendige, bildstarke und rasante Revue draus geworden.

National provozieren. (Fotos: Martin Bernklau)

„Ich war Punk, ich bin Punk“, schreibt Schamoni, ein künstlerisches Multitalent als Sänger, Schauspieler Schriftsteller, Moderator und nebenbei Club-Betreiber, am Anfang seines autobiografischen Romans, der nicht weniger will, als die Geschichte des Punk aus dieser besonderen Perspektive zu erzählen, aber auch aus den Resten der Erinnerung seine verlorene Kraft und seine toten Seelen erfassen.

…oder bei den Briten, an der Quelle des Punk.

Die Inszenierung von Dominik Günther packt den Punk als Dreierpack auf eine praktische Drehbühne und verteilt sie auf die drei Schultern von Rosalba Salomon, Justin Hibbeler und Haupterzähler Gilbert Mieroph, der vom Alter her ganz gut zu diesem Rückblick passt. Eine richtige Dramatisierung des Stoffs wurde es nicht, aber doch weit, weit mehr als bloß eine szenische Lesung.

Oder mit Waffen und Helmen.

Rocko Schamonis Ton ist bei allem drastischen Szene-Sprech fast schon bieder-bürgerlich, dabei aber eine durchaus flüssig elegante Prosa. Nur selten kippt er in das Deutsch der Soziologen, Psychologen oder Zeitkritiker. Die Protagonisten kippen dann mit. Das erzählende Imperfekt der Vorlage hielt das Trio die vollen zwei Stunden lang durch. Man gewöhnt sich dran, zumal die Inszenierung keine Behäbigkeit aufkommen lässt, sondern jede Episode mit möglichst viel Spektakel und szenischer Dichte auffüllt. Mit Lärm natürlich auch. Denn kein Punk ohne Musik. Viel vom Plattenteller, meist aber live.

Natürlich ist es dem 14-jährigen Lehrerssohn sterbenslangweilig im Dorf und der nahen Kleinstadt. Mofas, Mädchen, Meiers Dorfdisco, wo bis zum Abwinken abgetanzt wird, die im Familia-Markt geklauten Platten von Kiss und AC/DC, das Bier, der erste Rausch, sie machen den Anfang. In England geht seit ein paar Jahren der Punk ab. Irgendwann kommt die Erweckung und die Schere ans Haar. Mutter weint. Die schulischen Leistungen lassen nach.

Es geht auch mit Schlager und Sombrero als „Amigo“-Fuzzis.

Alles Rebellische der Achtundsechziger aber ist ausgelutscht. Da hilft nur noch die radikale, die Große Verweigerung: „Scheiße sein“, „No future!“, die Band und das Saufen bis ins Koma, palettenweise Hansa-Bier. Man mimt auch mal den Nazi, wenn’s zum Verschrecken der Spießer hilft, wie die Skins in England. hortet Waffen und trägt Stahlhelm. Auf dem Land hält ein Abgedrehter eine verfallene Villa, in der zu Hamburger Star-Club-Zeiten mal die Beatles übernachtet haben. Man geht ins Zentrum des Bürgerschreck-Bebens, nach London, trampt später nach Berlin zu den Toten Hosen, wo man mit Campino kumpelt und als Vorgruppe kläglich scheitert.

Absturz, Zerrüttung und Tode sind nie fern.

Da ist ein bisschen viel Promi-Dropping in der Vorlage. Sogar der abgewrackte David Bowie muss noch in der Landtöpferei vorbeischauen, wohin das Arbeitsamt den Punk in die Lehre schickt. Aber sonst ist das Szenario schon erhellend, erinnernd und erkenntnisreich, zumal die schnorrenden und saufenden und völlig vermüllten Punks zeitenweise auch das Bild der Provinzmetropole Tübingen prägten.

Als Provokation wird mit „Roswitha“ sogar dem Schlager gehuldigt, als „Amigos“ unter Riesen-Sombreros Kohle gemacht mit musikalischem Müll. Das Publikum, das heutige, lässt sich anstecken von der abgerissenen, übermütigen Spielfreude, johlt, klatscht und macht sogar gerne mit beim Verticken der in Flaschen gefüllten Asche von Hitler, Stalin oder Jesus. So um 30, 40 Jahre später macht die Erinnerung uneingeschränkten Spaß. Und das ist gut.

Keine Sekunde Langeweile kommt auf bei dieser höchst unterhaltsamen Revue mit durchaus aufschlussreichem Rückblick auf eine rebellische Historie, die sich in Tatoos, Piercings und manchem Modetrend bei den Haaren irgendwann doch voll ins Normalo-Geschehen eingefügt hat. Aber der harte Kern bleibt Punk, „Forever Punk“. So heißt der letzte Song.

Völlig zurecht: Das Werkstatt-Publikum bejubelt die „Dorfpunks“-Crew.

Riesenjubel danach und langer Applaus für die drei Dorfpunks und das Team. Das Stück könnte in all seiner zwanglosen Beiläufigkeit ein richtiger Renner werden.

In eigener Sache: Mich freut die überwältigende, fast durchweg positive Resonanz auf diesen Kulturblog. Bei Zuschriften an martinbernklau@web.de, die zur zeitnahen Veröffentlichung unter dem Beitrag in www.cul-tu-re.de gedacht sind, sollte mir dieser Wunsch eindeutig erkennbar sein. Danke.

Martin Bernklau

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