Bühne

LTT – Tacheles zu Corona

LTT-Intendant Thorsten Wekherlin begrüßt Podium und Publikum zu Tacheles über Corona: Foto: Martin Bernklau

Am Tübinger Landestheater diskutierte ein Podium über Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen und Impfung auch mit dem Publikum

TÜBINGEN. Das LTT traut sich was. In seiner Debattenreihe „Jetzt mal Tacheles“ diskutierte am Donnerstagabend ein Podium über „Vier Jahre Corona – Was haben wir gelernt (oder auch nicht)?“ Das gastgebende Theater sah sich gleich vorab belohnt: Intendant Thorsten Weckherlin konnte sich über einen bis auf den letzten Platz ausverkauften Großen Saal freuen.

Unter der Moderation von SWR-Studioleiter Marcel Wagner sollten die Notärztin Lisa Federle, der „Sicherheitsethiker“ (was immer das sein mag) Marco Krüger von der Uni Tübingen, die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke und der Freudenstädter Landrat Klaus Michael Rückert – allesamt mit Doktortitel – eine Bilanz der der Corona-Maßnahmen und der Covid-Impfung ziehen.

Das Thema sei „kontrovers wie kein anderes zur Zeit“ spitzte der Rundfunk-Journalist zur Einleitung ein wenig zu. So etwas Einschneidendes wie die Lockdowns habe das Land „noch nie erlebt“. Kritiker und Skeptiker seien dabei „oft nicht wahrgenommen“ worden, schickte Marcel Wagner voraus.

Der Landrat (LRA-Foto oben) hatte krankheitshalber absagen müssen, durfte aber als Einstieg in einem eingespielten Audio-Statement zu Wort kommen, das doch höchst überraschend ausfiel. Anfangs Befürworter einer „harten Linie“, müsse er nun bilanzieren, dass doch „leider Einiges schiefgelaufen“ sei, räumte Rückert ein. Vor allem „das Wegsperren“ der Kinder und Jugendlichen habe „verheerende Folgen“ gehabt, sagte der Kommunalpolitiker.

Als besonders schlimm empfinde er im Nachhinein auch das einsame Sterben vieler Menschen ohne Begleitung von Angehörigen. Abweichende Meinungen habe man zu wenig zugelassen. Mit der Impfpflicht sei gerade bei den Gesundheits- und Pflegeberufsgruppen „viel Vertrauen zerschlagen“ worden. Man habe „viel Politik mit der Angst gemacht“, kritisierte Rückert und forderte „endlich eine objektive Aufarbeitung“. Eine Schließung von Kitas, Schulen und Hochschulen dürfe es „nie wieder geben“, mahnte er.

Zwei Stühle blieben frei für Publikums-Beiträge. Von links: SWR-Studioleiter Marcel Wagner als Moderator, Notärztin Lisa Federle, Sicherheitsethiker Marco Krüger und Dorothea Kliche-Behnke, die Landtagsabgeordnete der SPD. Fotos: Martin Bernklau

Zum Diskussionsstand in der (Stuttgarter) Politik befragt, gab die Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke unumwunden zu: „Für die meisten ist Corona vorbei.“ Doch rede man inzwischen durchaus über Impfschäden und die immer noch nachwirkenden wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns.

Notärztin Lisa Federle, zusammen mit Oberbürgermeister Boris Palmer im ersten Corona-Jahr Erfinderin des „Tübinger Modells“, das freiere Zugänge zu Heimen bei verstärkten Tests vorschlug, forderte eine „Neubewertung der Impfung“ und kritisierte heftig, dass es dazu „keine Daten“ gebe. Sie selber, räumte die Medizinerin ein, rate ihren Patienten – von wenigen besonders Gefährdeten abgesehen – nicht mehr zur Impfung, die sie einst, „als man eben nichts wusste“ und Risiken habe eingehen müssen, durchaus befürwortet habe.

Nach der Stimmung unter seinen Studenten befragt, sah der Sicherheitsethiker Marco Krüger „bei den jungen Leuten keine Lust mehr auf das Thema“. In seiner Wissenschaft aber würden neue Erkenntnisse rege behandelt: zum Beispiel, dass man eben auch Kindergärten zur „kritischen Infrastruktur“ rechnen müsse.

Foto: LTT (Archiv)

Danach eröffnete der Moderator die Diskussion mit dem Publikum. Zwei Stühle auf dem Podium habe man freigehalten für Redebeiträge von maximal zehn Minuten, erläuterte Marcel Wagner. Schon bald zeigte sich: Hauptthema war die Impfung mit ihren Folgen. Und es kamen praktisch ausschließlich Maßnahmen-Kritiker, Impf-Skeptiker, auch Impfgeschädigte auf die Bühne, während auf dem Podium nur einstige, mehr oder weniger klare Verfechter harter Maßnahmen, flächendeckender mRNA-Impfung und einer Impfpflicht saßen. Ganz offenkundig gab es da großen Bedarf, endlich mal auch außerhalb isolierter, in den Medien kaum vertretener Gruppen angehört zu werden, eine Stimme zu bekommen. Den teils starken Reaktionen auf den Rängen nach zu urteilen, war auch eine deutliche Mehrheit des Publikums auf deren Seite.

Als „Mutter, Oma, Erzieherin“ stellte sich die erste Publikumsstimme vor und bezeichnete sich als „Gott sei Dank ungeimpft“. Dass die Corona-Krise „eine politische Geschichte“ gewesen sei, zeige schon die selbsterlebte Situation, als ein Häuflein von 15 Impfgegnern von 18 Polizisten eingekreist worden sei. Am meisten habe sie „das Wahrheitsverbot“ jener Zeit entsetzt. Lisa Federle wies – unter Rufen nach „Belegen!“ – darauf hin, dass die Impfung „Vielen das Leben gerettet“ habe.

Lisa Federle. Archivfoto: mab

Auch die SPD-Abgeordnete erntete Widerspruch für ihre Aussage, es habe 180 000 Corona-Tote in Deutschland gegeben. „An oder mit?“, scholl es ihr von mehreren Seiten entgegen. Sicherheitsethiker Marc Krüger nannte die damaligen Entscheidungen eine „Gefahrenabwägung“.

Ein studierter Physiker und Ingenieur argumentierte mit der Statistik. Im ersten Corona-Jahr 2020 sei die Sterblichkeit sogar unterdurchschnittlich gewesen, mit Beginn der Impfungen binnen zwei Jahren aber auf bundesweit 200 000 zusätzliche Todesfälle gegenüber dem langjährigen Mittel angestiegen. Es habe nie eine offene wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern nur Beschimpfungen der Kritiker als „Leugner“, als „unsolidarisch“ und Schlimmeres gegeben. Ein Skandal sei die Propagierung der Impfung für Kinder und sogar Schwangere gewesen.

Kinderimpfung habe sie nie befürwortet, verteidigte sich Lisa Federle, und eine Impfpflicht nur für medizinisches und pflegerisches Personal. Sie habe allerdings lange unter Polizeischutz gestellt werden müssen, klagte sie über Bedrohungen aus dem mutmaßlichen Lager der Impfgegner. Nun allerdings, forderte sie, müssten mögliche Impfschäden „schnell reguliert werden“. Dorothea Kliche-Behnke zeigte sich, als einstige Befürworterin, jetzt „froh, dass es nicht zu einer allgemeinen Impfpflicht kam“.

Ein bis dahin „völlig gesunder“ jüngerer Mann stellte sich als Impfgeschädigter vor. Man habe ihn im März 2021 vom Impfzentrum „nur noch mühsam nach Hause bringen können“. Bis heute hielten seine schweren neurologischen Störungen an. Sein Antrag sei seit zwei Jahren ohne Antwort. „Die Impfung ist eben nicht nebenwirkungsfrei“, sagte er und forderte: „Impfgeschädigte brauchen Solidarität.“

Ein Arzt, „selber dreimal geimpft“, beklagte die bis heute anhaltende „breite Front gegen Skeptiker“. Dass die Impfung keinen Fremdschutz bewirke, sei schon damals bekannt gewesen – nur nie bekannt gemacht worden. Bei der Aufarbeitung fehlten entgegen gesetzlichen Vorschriften – etwa für das PEI und die Stiko, die damals „Panik gemacht“ hätten und nun ihre Daten illegal zurückhielten – Daten und wissenschaftliche Begründungen. Die Politik habe „kein Interesse an einer Aufarbeitung“. Das sei ein Skandal.

Die Situation in den ersten Corona-Wochen schilderte ein Abteilungsleiter Pflege in der Psychiatrie der Uniklinik. Man habe sich von der Panik und dem „extremen Maß an Angst“ anstecken lassen und „gedacht, in einem Jahr sind wir sowieso alle tot“. Die Reaktionen seien deshalb „nicht die passenden“ gewesen. „Die Gleichschaltung brachte uns an den Rand des Zerbrechens“. Nach der Impfkampagne dann habe man bald bemerkt, dass „90 Prozent des Infektionseintrags auf die Station durch Geimpfte“ erfolgt sei.

Einen emeritierten Professor John (?) für Virologie und Epidemiologie holte Moderator Marcel Wagner dann zwischendurch kurz aufs Podium. Der sah die Impfung zwar überwiegend positiv, kritisierte aber, dass sich die Politik von nur drei praxisfernen „Nichtfachleuten“ abhängig gemacht habe, statt ein fachlich und praktisch breit aufgestelltes Gremium zu Rate zu ziehen: dem Veterinär und RKI-Chef Lothar Wiehler, dem Minister Jens Spahn und dem Experimental-Wissenschaftler Christian Drosten von der Charité. Man hätte „sofort mit Studien beginnen“ müssen. Dann wäre schnell bemerkt worden, dass die Impf-mRNA „viel stabiler als angenommen“ und damit potentiell gefährlicher gewesen sei.

Eine Musikpädagogin zeigte sich „bis heute am meisten entsetzt“ über das Alleinlassen von Sterbenden. Die Pharma-Industrie hätte untersuchen statt die Verantwortung auf den Staat abwälzen müssen. Keinerlei Verständnis habe sie für das „offensive Werben“ um die Impfung gehabt. Und die Diskriminierung von Ungeimpften durch erzwungene tägliche Tests oder gar „2 G“ sei schlimmstes Unrecht gewesen, das die Betroffenen „zu Recht wütend“ mache, bis heute.

Es gab noch Hinweise auf die hochgeschnellte Übersterblichkeit nach Beginn der Impfkampagne, auf das Fehlen von Obduktionen nach frühen Verdachtsmeldungen und starken Indizien für die Impfung als Todesursache. Die behauptete Überlastung der Intensivstationen habe es nachweislich nie gegeben, sagte ein Aktivist und befand die öffentliche Versicherung Karl Lauterbachs, die Impfstoffe seien „nebenwirkungsfrei“ für strafbar.

Doro Kliche-Behnke (SPD-MdL). Foto: Screenshot

Unruhe kam noch einmal auf im Saal, als Parlamentarierin Dorothea Kliche-Behnke sagte, man habe sinnvolle Anträge auf präzisere Daten und Untersuchungen abgelehnt, weil „alle AfD-Anträge aus Prinzip abgeschmettert werden“. Das mache einen „verheerenden Eindruck“, entfuhr es da sogar dem um Ausgleich bemühten Moderator Marcel Wagner. Er sagte eine eingehende SWR-Recherche zur Datenlücke und ihren Hintergründen zu. (Hier geht’s zum SWR-Podcast der Diskussion.)

Während die SPD-Abgeordnete dann „dramatische Fehler“ einräumte, die „nicht wieder passieren dürften, und der Sicherheitsethiker auf eine dramatische Zunahme von häuslicher Gewalt hinwies, beklagten betroffene Impf- und Maßnahmen-Kritiker anschließend noch verbale und handgreifliche Attacken, ja Rufmorde und Existenzvernichtung an kritischen Wissenschaftlern und Aufklärern, eine Ärztin sogar „illegale Hausdurchsuchungen durch schwarze Männer“.

Da hatte sich der Saal doch schon allmählich zu leeren begonnen. Auch wenn die Beiträge aus dem Publikum fast ausschließlich von dieser Seite kamen und sich die Podiums-Teilnehmer zeitweise sehr in die Defensive gedrängt sehen konnten: Es dürfte ein Verdienst des LTT gewesen sein, diesen teils zornigen und verbitterten Kritikern eine öffentliche Stimme, ein freies Wort und ein offenes Forum geboten zu haben.

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