Literatur

Lesung – „Zauber der Stille“

Im Tübinger Kino Museum sprach und las Florian Illies zum Jubiläumsjahr über den Maler Caspar David Friedrich

TÜBINGEN. Caspar David Friedrich kam vor 250 Jahren in Greifswald zur Welt. Gefeiert wird der bedeutendste Maler der deutschen Romantik, der eigentlich gar kein Romantiker war. So sieht das auch Florian Illies. Er stellte sein Buch „Zauber der Stille“ am Dienstagabend im praktisch vollbesetzten großen Saal des Tübinger Kinos Museum vor. Eine kundige Bernadette Schoog moderierte für Gastgeber „Osiander“ die Lesung des Erfolgsschriftstellers.

Florian Illies und Bernadette Schoog mit Osiander-Chef Heinrich Riethmüller (links). Fotos: Martin Bernklau

Florian Illies hat sich mit der „Generation Golf“ beschäftigt und feuilletonistische Meisterstücke über den Vorkriegssommer „1913“ oder die „Liebe in den Zeiten des Hasses“ geschrieben. Sein eleganter Plauderton kam dem 52-jährigen bei der Lesung ebenso zupass wie seine an Menschen und Geschehnissen, auch Anekdoten ausgerichtete Spurensuche, die mehr ist als genaue Recherche. Illies gibt sich auch seiner Begeisterung hin, dem Zauber, ohne zum unkritischen Schwärmer zu werden.

Caspar David Friedrich (1774 bis 1840) war ein schrulliger Kauz, ein Frömmler und vaterländischer Napoleon- und Franzosenhasser, als Maler anfangs nur mäßig begabt und zu Lebzeiten nicht übertrieben erfolgreich. Er kam – bis auf das Kunststudium an der Königlichen Akademie in Kopenhagen – kaum je über die Grenzen seiner pommerschen Heimat und seiner wichtigsten Wirkungsstätte im Dresden des sächsischen Königs hinaus. Den „Watzmann“ hat er nie gesehen, die „Kreidefelsen auf Rügen“ sehr wohl – und den „Mönch am Meer“ gewiss auch, vor seinem inneren Auge. Er malte nicht plein air wie andere Roamantiker und die Impressionisten, sondern verwendete für seine scheinbar naturalistischen Kopfgeburten im Atelier selbst uralte, präzise Skizzen von völlig anderen Orten – Bäume, Felsen, Schiffe, Städte.

In den Weltkriegen sind, so Illies, 46 seiner großen Gemälde verbrannt oder verschollen, darunter Schlüsselwerke. Die Nazis wollten ihn – missbräuchlich, wie bei Nietzsche auch – zum nordischen Ideal erheben. Hitler schätzte ihn hoch. Stalin hasste ihn vielleicht gerade deshalb: Die sowjetischen Sieger verschmähten vier seiner Bilder bei ihren Beutezügen nach Kunstschätzen in den bombensicheren Depots.

Die 68-er wiederum haben den Maler als Adelsknecht geschmäht; die Umwelt- und Klimabewegung hat ihn für seine vermeintliche Naturnähe fast zu einer Ikone gemacht, zu einem der ihren. Vor allem aber hat ihn der Kitsch vereinnahmt. Den „Kreidefelsen“ widerfuhr Ähnliches wie Dürers „Betenden Händen“ oder seinem „Feldhasen“. Dabei ist ein „Mönch am Meer“, ist ein „Eismeer“ das komplette Gegenteil, findet Illies: Sinnbild des verlorenen modernen Menschen in all seiner eisigen Einsamkeit – und vielleicht sogar der Beginn von abstrakter Malerei.

Wie kann dieser Mann nach so einer langen Zeit, auch einer Zeit des Vergessens, noch so eine Wirkung haben, fragte die kundige, aber angenehm zurückhaltende Bernadette Schoog sich und den auch als Kunstkenner hochversierten CDF-Deuter auf ihrem Sofa. Florian Illies hat, vor allem, einen biografischen Ansatz, auch was die Wirkung auf ihn selber angeht, für die er sich mit Bernadette Schoog auf den Begriff „Ergriffenheit“ einig fand.

Es ist die erschütternde Wirkung, die „Der Mönch am Meer“ auf den 15-jährigen preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm hatte, mutterseelenallein nach dem Tod von Königin Luise, der seinen Vater zum Kauf des Bildes drängte. Es ist die Wirkung, die das Gemälde auf den hellsichtigen Kleist hatte, der es – ganz im Gegensatz zum völlig verständnislosen Goethe und den spottenden Romantiker-Freunden Brentano und Arnim – fast schon inbrünstig feierte und die Szenerie vielleicht sogar als Vorbild nahm für seinen eigenen Selbstmord am Kleinen Wannsee wenig später.

Womöglich wagt sich Illies mit solchen Bezügen etwas weit hinaus. Das tut er gern. Aber ganz sicher hat er Recht mit seiner psychologischen Verbindung vom Trauma des Malers zum ikonisch-rätselhaften „Eismeer“: Der zwölfjährige Caspar war, vielleicht beim Schlittschuhlaufen, eingebrochen und beinahe ertrunken. Sein möglicher Retter aber, der jüngere Bruder Christoffer, er starb bei dem Unglück. Auch später schlug das Schicksal den Künstler nicht zu knapp. Doch seine späte Ehe mit Caroline, so berichtete Illies, war wohl trotz aller Schrulligkeit und Menschenscheu von Caspar David Friedrich glücklich.

Seinen „Zauber der Stille“ hat Florian Illies in Abschnitte über die vier Elemente gegliedert, wovon – wie die glänzend vorbereitete Moderatorin bemerkte – das Feuer den längsten ausmacht. Caspar David Friedrichs letztes großes, unvollendet gebliebenes Bild, „Das brennende Neubrandenburg“, es hatte bis zu dessen Lebzeiten, eigentlich sogar bis zum Zweiten Weltkrieg nie gebrannt. Erst die sowjetischen Eroberer oder Befreier steckten die fast verlassene Stadt am 29. April 1945 ohne Not in Brand.

Nicht nur hier, auch bei Kleist neigt der Autor zu kühnen, ahnungsvollen, prophetischen, fast übersinnlichen Zusammenhängen. Das sei ihm auch deshalb erlaubt, weil gerade auch dieses Spekulative sein geradezu elementar mit Leben und Tod aufgeladenes Buch so spannend macht. Illies wird aber auch die strengen formalen und zukunftsweisenden Aspekte dieser kein bisschen romantisierenden Malerei nicht übersehen haben: den Goldenen Schnitt, die perspektivlose Flächigkeit, die cezanne-haft geometrischen Kompositionen. Mit der Vorliebe Caspar David Friedrichs für Rückenansichten beschäftigte sich der Interpret schon bei der Lesung, die eine mitreißende und wunderbare Plauderei von großartiger Faktenfülle war.

Die Friedrich-Städte Dresden, Hamburg und Berlin verhalfen sich mit Leihgaben gegenseitig zu großen Ausstellungen im Jubliäumsjahr. Florian Illies hat den wohl wichtigsten literarischen Beitrag zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich geleistet. Das atemlos lauschende Tübinger Publikum feierte ihn schon fast.

In eigener Sache: Mich freut die überwältigende, fast durchweg positive Resonanz auf diesen Kulturblog. Bei Zuschriften an martinbernklau@web.de, die zur zeitnahen Veröffentlichung unter dem Beitrag in www.cul-tu-re.de gedacht sind, sollte mir dieser Wunsch eindeutig erkennbar sein. Danke.

Martin Bernklau

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