Kunst

Kunst-Podium – Krise bis zum Bildersturm

In der Tübinger Kunsthalle diskutierte man über eine Kunst in der Krise und unter vielfältigem Druck

TÜBINGEN. Vor dem großartigen Breitformat der Brüder Gert und Uwe Tobias traf man sich am Mittwochabend in der Tübinger Kunsthalle zu einem Gespräch über die Kunst an sich, genauer: Die Kunst und ihre Freiheit. Gastgeberin Dr. Nicole Fritz und die inzwischen ihrer Aufgaben ledige CDU-Politikerin und Merkel-Vertraute Annette Widmann-Mauz rahmten den Moderator und Rhetorik-Professor Olaf Kramer und den Künstler Erwin Wurm ein. Das Statement des Saarbrücker Kunstprofessors Matthias Winzen hatte den Rahmen des Diskussion abgesteckt.

Zuvor aber hatte die Direktorin in ihrer Begrüßung einen Umbruch festgestellt, der mit Corona „nicht spurlos“ an der Kunst- und Museums-Szene vorübergegangen sei, und zwar „unter Druck, auch ökonomisch“. Die langen Schließungen hätten den Ausstellungs-Betrieb mit dauerhaften Folgen „ziemlich getroffen“, aber auch „die kreative Aura verändert“ und im Grunde beendet, was sie „ein zeitgerechtes Denken“ über Kunst nannte. Aber die Zäsur habe auch ganz praktische Folgen: Man müsse den Besuchern „einen Aperol danach“ bieten, um sie noch ins Museum zu locken.

Kunsthallen-Direktorin Nicole Fritz, der österreichische Künstler Erwin Wurm, Moderator Olaf Kramer und Annette Widmann-Mauz (von links). In der ersten Reihe rechts neben dem leeren Stuhl: Referent Matthias Winzen. Fotos: Martin Bernklau

Aber auch von anderen Seiten habe der Druck zugenommen, hatte sie in ihrer Einladung geschrieben: „Von Seiten der Politik wie auch von Seiten des Marktes wird das Eigensinnige der Kunst, ihre eigentliche Kraft und Paradoxie, bedrängt, geglättet und benutzt. Darüber hinaus wird das Bild als Kommunikationsmedium durch moralisierende Diskurse zunehmend in Frage gestellt.“ Gewichtige, fast dramatische Worte.

Der frühere Bildhauer, Kunsttheoretiker und Museumsleiter Matthias Winzen aus Saabrücken spitzte das in seinen Eingangsthesen zu und sprach nach ein paar theoretischen Begriffsklärungen gar von einem „modernen Bildersturm“, der heute moralisch und mit Political Correctness daherkomme statt wie früher die Nazis mit „Entartung“ oder Muslime mit Blasphemie oder Beleidigungsvorwürfen. Wenn man noch den Martkt als Widerpart hinzunehme, geschehe an der Kunst ein „Betrug in beide Richtungen“.

Der österreichische Künstler Erwin Wurm entgegnete dem und fand, dass „die Freiheit der Kunst immer eine Illusion“ gewesen sei. Stets habe es Missbrauch gegeben, auch in der Literatur und der Musik. Ihren Freiraum müsse sich Kunst selber suchen – und da begänne die Schwierigkeit (er benutzte einn drastisches Wort dafür). In seinem Heimatland würden die Künstler selbstverständlich gekauft, wobei die Subventionierung oft falsch laufe.

Die mit der diesjährigen Wahl aus der Politik verabschiedete Abgeordnete und frühere Staatsministerin Annette Widmann-Mauz wies darauf hin, dass die Kunstfreiheit Verfassungsrang habe und der Staat Kunst auch fördere und damit in gewisser Weise auch „den Blick lenke“. Allerdings sollten nach ihrer Ansicht die Künstler über ihre Verbände bei der Verteilung der Mittel selber aktiver werden. Genau solche Steuerung, widersprach Erwin Wurm, müsse tunlichst vermieden werden.

Als Kunsthallen-Direktorin brach Nicole Fritz eine Lanze für eine Kunst, die als nonverbale Kraft ernstgenommen werden sollte – und zwar ohne sie in Schubladen zu stecken. Dazu gehöre, wie bei der aktuellen Ausstellung, auch eine mal eine Entscheidung ohne Rücksicht auf gegenwärtige Trends. Die Brüder Gert und Uwe Tobias seien schon mit ihrer Holzschnitt-Technik „gewiss nicht trendig, sondern eher alte weiße Männer“, scherzte sie. Doch hänge sie selber an solcher Kunst „voll Spititualität und Mystik“, bekannte die Kunsthallen-Chefin: „Dafür steht mein Herz.“

Den Forderungen von außen zu entsprechen, ergänzte Erwin Wurm, sei für die Kunst „der Tod von allem“. Er verwies auf seinen Lehrer Bazon Brock, dem die Ästhetik als Vermittlung von Kunst genauso wichtig gewesen sei wie deren Autonomie. Der Abstand zur Wirklichkeit mache sie stark. Mit Nicole Fritz – „Es muss aber aus der Kunst kommen!“ – war er sich einig, dass hier neben den Museen auch „Eltern, Staat und Schule“ ihre Aufgaben hätten. Einhellig sprachen sie sich gegen Kürzungen beim Kunstunterricht aus.

Womit das Podium bei einem letzten Thema vor dem abschließenden Publikumsgespräch war: „Was ist systemrelevant?“, diese Frage habe vor allem auch die Corona-Zeit an Staat und Kulturpolitik gestellt, sagte die frühere Politikerin Widmann-Mauz. Und sie habe ein verändertes Publikum hinterlassen, ergänzte die Kunsthallen-Direktorin: „Ohne Beiprogramm kommen sie nicht mehr“. Das ändere aber nichts am Anspruch an ihr Museum und alle anderen Orte der Kunst, sagte Nicole Fritz: „Man muss als gewandelter Mensch wieder herauskommen.“

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