Musik

Kreuzkirche – Vier Jahreszeiten light

Das Dresdner Residenz Orchester spielte in der Reutlinger Kreuzkirche – als kleines Ensemble

REUTLINGEN. Ist es Zauberei? Wie kann ein Orchester am 1. März 2025 gleichzeitig im Dresdner Zwinger und in der Reutlinger Kreuzkirche auftreten und in etwa 20 Jahren angeblich mehr als zweitausend Konzerte spielen?

Die Erklärung findet sich im Phänomen des von Insidern so genannten „Telefon-Orchesters“: einem großen Musiker-Pool, aus dem von Fall zu Fall verschiedene Besetzungen zusammengestellt werden. Es gibt offenbar genug gut ausgebildete junge Instrumentalisten, die ihre prekäre Lage durch solche Jobs aufbessern (müssen). Damit lässt sich auch die vage Formulierung „vielversprechende Musiker/innen“ im Online-Orchesterportrait erklären. Gegründet wurde das Dresdner Residenz Orchester als Institution 2013 durch den Geiger Prof. Igor Malinovsky, der neben seiner internationale Karriere einen Lehrstuhl für Violine an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden inne hat.

Das Kammerensemble aus Dresden mit Prof. Malinovsky als Primarius in Aktion. Fotos: Susanne Eckstein

Wenn es im Vorfeld schlecht läuft, kommt für den Auftritt kein Orchester zustande, sondern – wie hier – nur ein kleines Kammerensemble. Statt des erwarteten großen Klangkörpers treten nur zwei erste Violinen (mit Prof. Malinovsky als Primarius) an, eine zweite Violine, eine Viola, ein Cello, ein Bass, dazu eine Pianistin am Konzertflügel. Ein junger Mann mit Geigenkasten verschwindet (als Ersatzmann?) hinter der Wand.

Auch das real aufgeführte Programm entspricht nicht der Ankündigung; der erste Teil ist komplett umgestellt. Aufgeführt werden acht bekannte Stücke bzw. Sätze der drei Wiener Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven plus Boccherini in Arrangements, die angeblich für das Dresdner Residenz Orchester erstellt wurden, im Programmflyer nicht ganz korrekt als „Werke dieser Epoche“ bezeichnet (gemeint ist die von Vivaldi).

Mangels Orchester muss dieses durch das Klavier ersetzt werden. Gut zu hören ist in den Bearbeitungen stets die souverän geführte Melodiestimme der zwei ersten Geigen; zweite Geige und Viola sind kaum auszumachen.

Zwei der Stücke hätte man auch in der Originalfassung spielen können: Boccherinis Menuett aus dem Streichquintett op. 11 Nr. 5 (mit kleinen Anpassungen) sowie Mozarts „alla turca“ aus seiner Klaviersonate A-Dur KV 331; die Musiker sind ja da. Nein, beide Sätze werden unnötigerweise in bunt aufgehübschten Ensemble-Arrangements vorgeführt.

Der zweite Teil des Konzerts bleibt wie geplant, er besteht aus Antonio Vivaldis berühmten „Vier Jahreszeiten“ aus op. 8. Wie oft Prof. Malinovsky den virtuosen Solopart wohl schon gespielt hat? Im Jahresprogramm des Dresdner Residenz Orchesters für 2025 ist das populäre Werk sage und schreibe etwa alle zwei Tage angesetzt. Entsprechend routiniert bis spektakulär wirkt die Interpretation des Solos durch den Orchestergründer, und das Publikum darf seiner geigerischen Leistung (wie er ansagt) nach jedem Satz applaudieren.

Während Vivaldis Concerti seit langem in barocker Aufführungspraxis, also zumindest mit einem Cembalo in der Continuogruppe aufgeführt werden, klingt dieses nun mit dem Konzertflügel wie vor 50 Jahren, als von „historisch informiert“ noch keine Rede sein konnte. Agogik und Ausdruck sind unangemessen romantisch, der bunte Bilderbogen der Jahreszeiten wird plastisch nachgemalt – aber weitgehend nur durch den Orchestergründer und Leiter Prof. Malinovsky: Als Solist an der Violine dominiert er das ganze musikalische Geschehen mit seiner souveränen Virtuosität. Die jungen Mitspieler begleiten im Hintergrund, statt mit ihm zu konzertieren. Ihre Namen und ihre Herkunft aus der Ukraine, Südkorea und Serbien erfährt man später mündlich vor der Zugabe, bestehend aus Brahms‘ Ungarischem Tanz Nr. 5 sowie der „Tritsch-Tratsch-Polka“ von Johann Strauß Sohn).

Es ist bitter für eine langjährige Chronistin, derlei berichten zu müssen; Schönreden hilft nicht, die Lage der musikalischen Bildung hat sich verschlechtert. Doch angesichts der schwierigen Umstände haben die sechs Musizierenden ihre Sache gut gemacht und den Jubel des Publikums verdient.

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