Martin Künstners KonzertChor Reutlingen führte Mozarts Missa in c, die „Große Messe c-Moll“, in der Reutlinger Christuskirche auf
REUTLINGEN. Das Brautgeschenk für Constanze blieb unvollendet, ein monumentales Fragment, warum auch immer. Wolfgang Amadé Mozart hatte die Fertigstellung der Messe in einem Brief von 1783 an den Vater angekündigt. Die vollendeten Teile wurden wohl im selben Jahr in Salzburg aufgeführt. Die Frage, wie mit dem Torso – fraglos als „Große Messe“, als Missa solemnis angelegt – und den weiteren Skizzen umzugehen sei, steht seither im Raum.
Martin Künstner entschied sich zur Aufführung seines KonzertChors (vormals Betzinger Sängerschaft) und seines Ebinger Kammerorchesters in der Reutlinger Christuskirche für die alte, selber schon historische Fassung von Alois Schmitt aus dem Jahr 1901. Vier ausgezeichnete Gesangssolisten waren engagiert. Den wichtigsten und umfangreichsten Part hatte Christine Reber. Denn seiner wohl als Konzertsopranistin nicht ganz unbegabten Gattin Constanze könnte Mozart nicht zuletzt das berühmte „Et incarnatus“ auf den Leib, auf die Stimme geschrieben haben, womit die fertiggestellten Teile des Werks Messe enden. Meist werden sie mit Sätzen aus anderen Mozart-Messen oder Ergänzungen aus den Skizzen komplettiert.
Als zweiter Sopranstimme (eine der vielen Besonderheiten an dem Werk) war Mezzosopranistin Katharina Göhr mit einem Part betraut, darunter dem sonst dem ersten Sopran zugedachten „Laudamus“, der freilich auch, wie im „Domine“-Duett weit hinunter in Alt-Lagen reicht. Schön, wie sie da so einvernehmlich phrasierte, aber in den glanzvollen Spitzentönen mit Christine Reber wetteiferte. Der hell timbrierte Tenor Marcus Elsässer gehört mit seiner eleganten Stimmführung nicht umsonst zu Künstners bevorzugten Vokalsolisten. Jasper Lampe führte seinen Bariton im voluminösen Brust-Register doch sehr passend mit stoisch-majestätischer Bassfärbung.

Das sehr zuverlässige Ebinger Kammerorchester, bei den etwas nüchtern musizierenden Streichern offenbar zu Sparsamkeit beim Vibrato angehalten, war auch mit den Bläsern von der Württembergischen Philharmonie sehr gut ergänzt und hatte viele schöne Stellen wie die Begleitung der zärtlich-innigen Sopranbögen im „Et incarnatus“ durch Flöte und Oboe, dann bei den zunehmenden Koloraturen auch durch das Fagott.
Die Kraft des wohl an die hundert Stimmen starken Chors bewährte sich nicht nur im monumentalen achtstimmig doppelchörigen „Qui tollis“, dem alle vier Vokalsolisten beigefügt waren und das sich geradezu ehrfuchtgebietend auftürmte. Die in schwermütiger Chromatik absteigenden, von scharfen Punktierungen begleiteten Sequenzen in g-Moll, im ganzen Ausdruck dem „Crucifixus“ aus Bachs h-Moll-Messe verwandt empfunden, versinnbildlichen die ganze Last, die der christliche Erlöser auf sich nimmt, während die Gläubigen zum Ende hin in gespenstisch leisem Flehen („miserere nobis“) um Gnade bitten. Das war sehr eindrucksvoll.
In gravitätisch schreitendem Gleichmaß hatte Martin Künstner die Messe mit dem „Kyrie“ beginnen lassen, in seiner kontrapunktischen Anlage von dezent federnden Impulsen gegliedert. Bei dem straffen „Gloria“ in C-Dur konnte der Chor die Kraft seiner Stimmen vorführen, im knappen fünfstimmigen „Gratias“ seine kompakt gebündelte Energie. Nicht immer erreichten der Chor und das Orchester im Paradestück der Fuge „Cum sancto spirito“ die perfekt abgestimmte Präzision, auch die Binnendynamik hätte sich noch etwas variabler entwickeln können. Aber ihre ganze majestätische Größe entfaltete diese verdichtete Kontrapunktik doch.
Für die ergänzte Fuge „Et vitam“ oder das gleichfalls mit seiner großen Steigerung und der Friedenbitte als feierlichem Abschluss angefügte „Agnus dei“ galt das auch. Mit langanhaltendem Beifall feierten die Zuhörer nicht nur die Solisten, das Orchester und den Chor, sondern vor allem auch den Dirigenten Martin Künstner, dem für 30 Jahre Leitung und ungezählte ähnlich eindrucksvolle Konzerte ein prächtiger Blumenstrauß des Dankes überreicht wurde.

