Das spanische Cuarteto Casals war zu Gast beim Reutlinger Kammermusikzyklus
REUTLINGEN. Ein international renommiertes und vielfach ausgezeichnetes Quartett mit einem großen Namen: das Cuarteto Casals aus Spanien, das dem 1973 verstorbenen Cellisten Pau (Pablo) Casals huldigt. Im Rahmen des Kammermusikzyklus‘ bot es am Mittwochabend im gut besuchten Kammermusiksaal der Stadthalle bei seinem zweiten Reutlinger Auftritt Werke von Boccherini, Arriaga, Turina und Brahms.
Gegründet 1997, besteht es aktuell aus Vera Martínez Mehner, Abel Tomàs (Violinen), Cristina Cordero (Viola) und Arnau Tomàs (Violoncello); seither hat offenbar nur die Besetzung des Bratschenpults gewechselt.
Das steht, anders als sonst, ganz vorn – ein klangliches Statement. Tatsächlich wirkt die Klangfarbe insgesamt dunkler; wie man bald feststellen kann, tragen Bratsche und Cello viel zum satt grundierten, homogenen, doch stets transparenten und von der vorzüglichen Raumakustik gestützten Gesamtklang bei.

Anders als im Programm vorgesehen fangen die vier mit dem Streichquartett Nr. 5 g-Moll aus op. 32 von Luigi Boccherini an, womit sich eine chronologische Folge ergibt. Boccherinis Kammermusik, komponiert weitab vom Zentrum der „Klassik“ in Wien, steht noch mit einem Fuß im Barockstil. Das betont vor allem Abel Tomàs als Primarius: Bogen und Spieltechnik sind „historisch“, agil und detailgenau widmet er sich den ausgezierten, kleingliedrigen Linien des in Spanien wirkenden Italieners. Das Zusammenspiel ist durchweg stimmig, die Stimmen sind absolut gleichberechtigt.
Wer nur das populäre Menuett von Boccherini im Ohr hat, horcht auf: Hier eröffnen die kundigen Spieler eine eigene Welt. Etwa gleichzeitig mit Haydn hat Boccherini das Streichquartett „erfunden“ und individuell durchgestaltet, wie das hier zu erleben ist: zwar im Rahmen der traditionellen italienischen Formen, doch durchweg elegant und fantasievoll. Der Menuettsatz ist erstaunlich streng, von den vier Spielern mit großem Ernst ausgefeilt; dem Finalsatz werden Spielwitz und derbe Töne zuteil, wobei der dunkle Grundklang nicht nur der Tonart g-Moll, sondern auch dem besonderen Quartettklang geschuldet ist.
Den Schritt zur Wiener Klassik kann man danach mit Juan Crisóstomo de Arriaga und dessen Streichquartett Nr. 3 Es-Dur nachvollziehen. Er wurde nicht einmal zwanzig Jahre alt und hat deshalb – leider – nur ein schmales Œuvre hinterlassen. In seinem dritten Streichquartett hört man deutlich das Vorbild Beethoven heraus: im Thema des ersten sowie in der kleinen „Pastorale“ des zweiten Satzes. Doch dem Cuarteto Casals gelingt es spielend, seine Charakteristik zu betonen und die scheinbar oberflächliche Musik auf natürlich fesselnde Weise so zu vertiefen, dass nach den Sätzen absolute Stille im Saal herrscht.
Was würde dieses Quartett wohl aus der spätromantischen Schmonzette „La Oración del Torero“ (Das Gebet des Toreros) von Joaquín Turina machen, die an dritter Stelle folgt? Zunächst tauschen die zwei Geigen die Plätze: Ab jetzt fungiert Vera Martínez Mehner als diskrete Primaria. Dann machen die vier aus dem vermeintlichen Rührstück eine vielfarbig ausgeleuchtete Klangstudie: Aus dem Sentiment wird trockene Expressivität, vorgeführt mit höchster Sensibilität und diskreter Virtuosität, die sich in den Dienst einer Neudeutung stellt. Danach herrscht Stille im Saal wie nach einer Passion.
Auch Johannes Brahms wird neu interpretiert. Dessen erstes Streichquartett c-Moll (op. 51/1) gilt zwar seit Schönberg als modernes Vorbild in Sachen „entwickelnde Variation“, doch die Darstellung des spanischen Quartetts lässt die Struktur nur beiläufig anklingen. Im Vordergrund stehen Klang und Bewegung: ein facettenreich aufgefächertes Klangspektrum, fahl, rau und dunkel grundiert, und eine Betonung der Rhythmen von leidenschaftlicher Motorik bis zögernder Ruhe.
Dem ersten Satz wird ein durchgehendes „agitato“ zuteil; beim zweiten („Romanze“) kann man sich fragen, ob das noch Brahms ist: Fragen, Andeutungen, sensibles Ausloten – eine neue Erfahrung. Aus dem dritten Satz, einem nervösen Scherzo, tritt die Viola mit einem wunderbaren Solo heraus, der Finalsatz beginnt mit einem Aufschrei der Saiten und endet hochgradig erregt und kraftvoll-orchestral, gefolgt von lang anhaltendem Applaus.
Woher das Cuarteto Casals seine tiefe Grundierung nimmt, lässt sich aus der Dreingabe erahnen: dem „Tanz des Müllers“ aus Manuel de Fallas „Dreispitz“ – als Apotheose der spanischen Gitarre in harten, düsteren Rhythmen.
