Bühne

ITZ – Schweigen um Schubert

Foto: Gonschior/Zimmertheater

Du hast es so gewollt“ – ein anderer Liederabend mit Konstantin Dupelius und Justus Wilcken im Tübinger Zimmertheater

TÜBINGEN. Stille. Schweigen. Endlos lange Minuten. Schubert ist verstummt, die Szene stillgestellt, das Klavier verklungen. Aber von vorn: Konstantin Dupelius und Justus Wilcken, die Hausmusiker des ITZ, widmen Franz Schubert einen Abend. Am Freitagabend war die gut besuchte Premiere von „Du hast es so gewollt“ im Kellergewölbe des Zimmertheaters. in der Bursagasse.

Am Ende kommen sie alle bei der Winterreise an, auch die Filmer (»…mit meinen heißen Tränen“, sehr zu empfehlen!), die Literaten wie Peter Härtling oder die Lindenhöfler, Theatermacher von der Alb, die sich auf die Suche nach Franz Schubert machen, diesem linkischen, kurzsichtig halbblinden Pummelchen aus der dörflichen Vorstadt Himmelpfortgrund, das Unfassbares hinterlassen hat, nachdem es im November 1828 mit noch nicht 32 Jahren in Wieden, 4. Wiener Gemeindebezirk, sang- und klanglos regelrecht eingegangen war – syphiliskrank, aber akut mutmaßlich an einem vom Typhus ausgelösten „Nervenfieber“, wie Mozart am „hitzigen Frieselfieber“.

Justus Wilken (Ausschnitt). Fotos, auch Titelbild und Doppelporträt: A. Gonschior/ITZ

Ein bisschen Rätsel muss sein im Institut für theatrale Zukunftsforschung („Du hast es so gewollt“ – biografisch? autobiografisch? Zitat?), ein bisschen Englisch auch, mit dem Untertitel „Franz Schubert reimagined“. Was die beiden studierten Musiker und Multi-Instrumentalisten – Konstantin Dupelius am kleinen Klavier, der Elektronik oder einer Melodica, Justus Wilcken als hell timbrierter, aber volltöniger Bariton und E – Gitarrist – mit dem musikalischen Material machen, das ist Performance und Verfremdung, Collage, Neukomposition und Variation, Umdeutung und Happening, Ekstase, Traum und Alptraum, maßvoll verstörend für betuliche Schubert-Liebhaber. Aber es ist auch Hommage – spürbar, anrührend, ergreifend.

Das OMG-Schubert-Duo Dupelius/Wilcken im Kellergewölbe Bursagasse mit Video-Einspielungen von Wilkelm Rinke. Foto: Martin Bernklau

Sie haben sich vor vier Jahren als Duo OMG Schubert gefunden und das Prinzip nicht verändert für diese Wiederaufnahme des ersten Programms: Brainstorming vor allem im Liedgut Schuberts, lauter Lieblingsstücke, zunächst klassisch mit Klavier und Singstimme gespielt, dann um Sythesizer, E-Gitarre, einen Jam oder Beat, um Elektronik erweitert wie die Endlosschleifen eines Loop (passend zu Schuberts Motorik), aber auch Geräusche vom zarten Tröpfeln bis zu apokalyptischem Dröhnen, Hall, Krach. Manches ist so verfremdet, dass der Abend auch zum Lustigen Liederraten werden könnte, anderes verstörend nah am Original, zumal Dupelius klavierspielen und Wilcken wirklich singen kann.

Es fängt ganz zeitgeistig an, mit einem Spiel, einem Puzzle um das Wort „grün“. Zitate, Pflanzen im Hintergrund und auch auf den von Wilhelm Rinke bespielten Videowänden (später gibt es dort auch weibliche und männliche Körper nicht ohne affektiven Reiz, Grafisch-Abstraktes). Aber es ist für die beiden musikalischen Performer gerade auch das Überzeitliche, jeder historischen oder aktuellen Gesellschaftskritik (auch jeder Zukunftsforschung) Enthobene, was die Liedtexte vor allem jenes meist unterschätzten Wilhelm Müller so tief und mit Schuberts Musik so „unsterblich“ macht, wie es die Gefühle von Schmerz, Sehnsucht und Einsamkeit, Abschied und Wanderschaft, auch von Liebe nun mal sind.

Vielleicht hätte man sich etwas mehr Dramaturgie, einen alles umspannenden Bogen für diese Collage wünschen können. Aber das Finale ist stimmig. Die großen fahlen letzten Lieder der Winterreise, das „Wirtshaus“, die „Nebensonnen“ und schließlich der „Leiermann“ werden immer leiser, dürrer, bedrohlicher in ihrer Kälte, Entrückung, dem Wahnsinn und dem nahenden Tod. Ausgerechnet der Pianist verlässt dann die Bühne und den Raum. Am Klavier bleibt der Sänger zurück, schlägt in immer kürzeren Fragmenten die insistierenden Akkorde des „Leiermanns“ an – verstummt dann und erstarrt.

So lang solche Stille auszuhalten – das Licht bleibt – würden sich manche Konzertmusiker am Ende der Aufführungen von ihrem Publikum wünschen. Hier wurde es Ereignis. Nach geschlagenen mindestens (!) fünf Minuten durfte Jubel ausbrechen und lang anhalten.

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