Musik

Hagen-Quartett – Eleganz und Intensität

Das Salzburger Hagen-Quartett gastierte mit Haydn und Schumann im Tübinger Uni-Festsaal

TÜBINGEN. Das in Salzburg beheimatete und auch am Mozarteum wie bei den Festspielen fest verwurzelte Hagen-Quartett genießt seit Jahrzehnten Weltruhm, nicht zuletzt für seine Mozart-Einspielungen. Mit zwei Haydn-Quartetten und Robert Schumanns drittem Streichquartett war es am Donnerstagabend in Tübingen zu Gast. Dass die Reihen im Festsaal der Universität allenfalls zur Hälfte – was die Akustik besser, aber auch heikler macht – besetzt waren, ist kein gutes Zeichen für das klassische Tübinger Musikleben, besonders für die Kammermusik nicht.

Primarius Lukas Hagen und Rainer Schmidt, am zweiten Geigenpult. Fotos: Martin Bernklau

Bei seiner Gründung in den Siebzigern war es ein reines Geschwister-Ensemble. Bald aber verließ die zweite Geigerin Angelika Hagen die klassische Musikszene und wandte sich ganz der Ethnologie und der Verhaltensforschung zu. Rainer Schmidt nahm ihren Platz ein. Mit Primarius Lukas Hagen, Bratschstin Veronika Hagen und dem Cellisten Clemens Hagen feiern sie seither – engagiert gefördert zunächst von Gidon Kremer und Nikolaus Harnoncourt – Erfolge auf den Konzertpodien der Welt, mit ihren Einspielungen und nicht zuletzt als gefragte kammermusikalische Lehrmeister.

Das darf man mal so zuspitzen: Joseph Haydn (1732 bis 1809) ist der Bedeutendste in der Trias der Wiener Klassik. Aber weil dem eher gewöhnlich ein langes Leben lang unspektakulär und sozusagen spießig vor sich hin Arbeitenden angeblich die genialische Aura von Mozart und Beethoven, das Liebreizende oder das Pathetische im Klang wie das Dramatische und Steile im Lebensschicksal fehlt, rutscht er in der Gunst des Publikums oft hinter seine beiden Schüler, die durchaus auch jüngere Freunde waren.

Die Musiklehrer verkürzen Haydns unvergleichlich formprägende Leistung oft auf die Sonatenhauptsatzform in ihrem Grundmodell mit Exposition zweier gegensätzlicher Themen, Durchführung und Reprise. Dass neben dem langsamen zweiten Satz von Sinfonien, Sonaten, Konzerten oder Kammermusikwerken den dritten oft ein Menuett oder Scherzo plus Trio prägt, ein vierter in der „dialektischen“ Rondoform von Refrain respektive Ritornell und dem episodischen Couplet, zuweilen auch als Variations-Finale, diese bis heute nachwirkenden idealtypischen Muster, hat auch Joseph Haydn etabliert. Seine unerschöpfliche melodische und rhythmische Erfindungsgabe, seine Satzkunst und nicht zuletzt sein Humor. Doch selbst seine ungeheure Produktivität mindert seinen Ruf bis heute vielfach eher, als „Vielschreiber“, als dass sie ihn steigert.

Das Salzburger Ensemble hatte die Streichquartette G-Dur (Hoboken-Verzeichnis III/58) und E-Dur (Hob, III 59) als benachbarte und (mit den „Preußischen“) besonders eindrückliche Beispiele des beginnenden Spätwerks ausgewählt. Diese sogenannten „Tost-Quartette“ von 1788 aus dem üblichen Sixpack sind als Auftragsarbeit einem wohl sehr virtuosen ungarischen Geiger namens Johann Tost zugeeignet, der nach seiner Zeit als Esterházy-Hofmusiker später zu Reichtum kam und auch aus der Musik noch ein Geschäft zu machen vestand. Diesen Klassikern, dementsprechend deutlich primgeigen-lastig, setzte das Ensemble das Streichquartett A-Dur opus 41/3 entgegen, das dritte von nur dreien in summa, in dem sich Robert Schumann (1810 bis 1856) sehr frei, sehr überschwänglich, sehr rhapsodisch und eben sehr romantisch mit Haydns Form auseinandersetzt, als Trias in manischer Windeseile im Frühsommer 1842 entstanden.

Die beiden Streichquartette zeigen, wie frei und kreativ Haydn seine epochmachenden Muster handhabte, zeigen, wie sehr er, manchmal regelrecht verschmitzt, zu überraschen beliebte, zeigen, wie forschend er gerade in diesen Stücken, besonders in den langsamen Sätzen, Möglichkeiten der kühnen Modulation und eine gewisse melancholische Chromatik auszuloten verstand. Und das Hagen-Quartett zeigte, welch phänomenale Abstimmung in Ton und Tempo solch lange gemeinsame Erfahrung hervorbringen kann. Die langsamen, die leisen Sätze und Passagen hatten Größe, fast eine feierliche Erhabenheit: Geradezu göttliche, hauchzart schwebende Pianos und Schlüsse gab es da zu hören. Ganz selten hatte der ebenso kraftvoll klare wie zur betörenden Zärtlichkeit fähige Ton von Lukas Hagen winzige Trübungen. Ein Ton, den auch die Mitspieler immer wieder in ganz ähnlicher Farbe aufblühen ließen. Von elegant leichter Virtuosität und perfekter Präzision war der Galopp beider Finals geprägt.

Die so klug durchdachte Gegenüberstellung führte nach der Pause mit dem dritten, dem A-Dur-Streichquartett, einen Robert Schumann vor, der die Muster des Klassikers Haydn natürlich verstanden hat, ihnen aber in aller Freiheit den Stempel seiner Subjektivität aufdrücken will. Er hat das beim Streichquartett nach dieser Trias opus 41 nie wieder versucht. Das demonstrative Vorstellen der Motive in der langsamen Einleitung führten die Hagen-Musiker ihrerseits sehr deutlich vor, auch Schumanns Streben nach möglichst großer Ausdrucksvielfalt, nach Kontrasten – und nach viel Gefühl.

Auch bei den Satztechniken geht Schumann in dieser anreißenden, rhapsodisch abschnitthaften Weise vor: Er schreibt keine Fugen, sondern belässt es bei Fugati, um sich dann wieder dem kleinteilig Thematisch-Motivischen zu widmen oder in Variationen seine ganze unstreitige Erfindungsgabe zu zeigen.

Die bewusste Gegenüberstellung zu diesen so wohlproportionierten Haydn-Quartetten zeigte zwar den so schwärmerischen wie begnadeten Romantiker Robert Schumann, aber vielleicht auch – in vorsichtiger Psychologisierung – die manische Seite einer bipolaren Seele – um zu vermeiden, was Nietzsche an Schumann als typisch deutsche „Trunkenboldigkeit des Gefühls“ schmähte.

Die Geschwister Veronika (Viola) und Clemens (Cello) Hagen. Foto: Martin Bernklau

Das viel zu kleine Publikum wusste die herausragende Klasse des Hagen-Quartett mit langem und starkem Beifall zu würdigen, wofür es einen weiteren Schumann-Satz als Dank gab. Es dürfte das Adagio aus dem Streichquartett 41/1 mit seiner betörenden Cello-Kantilene gewesen sein.

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